Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Grabbrauch, Grabbauten, Rituale (Ausschließlich historisch und archäologisch Faßbares!!!)

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Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Blattspitze » 29.03.2012 10:40

Bestattungen, von manchen bereits beim HSN als belegt angesehen, sind die ersten eindeutigen Hinweise auf Religiosität.
Für die meisten von uns persönlich, als Angehörige einer satten, von direkt existenziellen Sorgen befreiten, westlichen aufgeklärten Industriegesellschaft ist R. zu einem Randthema geworden. Sicher einer der Gründe, dass wir uns nur schwer in das Denken vorindustrieller Menschen hineinversetzen können.

Aber, bietet Religiosität evtl. auch einen evolutionären, sogar selektiven Vorteil?
Ich fand dazu diese Seiten sehr interessant:

... Tatsächlich mehren sich in letzter Zeit die Versuche, Religiosität als eine Art evolutionäre Anpassung zu interpretieren und zu erklären. Das ist eine hochinteressante Hypothese, die deshalb auch häufig die Aufmerksamkeit von Massenmedien anzieht. Allerdings muss sie entgegen vieler populärer Darstellungen – sowie einiger Behauptungen mancher Wissenschaftler – sehr differenziert und kritisch betrachtet werden. Zumindest sollte man beim gegenwärtigen Forschungsstand keineswegs sagen, dass die Hypothese bereits erhärtet ist. ...

http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/g ... t?page=0,0
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon hunasiensis » 29.03.2012 22:35

ja, das ist ein interessanter Ansatz, den man auch in einen größeren Zusammenhang stellen kann:

wann und wie geschah der Übergang beim Menschen vom biologischen zum kulturellen Tier?

Welche evolutionären Vorteile brachte das Kümmern um Verstorbene, das Bestatten etc.?

Einen aufschlussreichen Beitrag bringt die Religionswissenschaftlerin Ina Wunn in ihrem Buch

Die Religionen in vorgeschichtlicher Zeit.
Reihe Religionen der Menschheit Bd. 2, herausgegeben von Peter Antes, Hubert Cancik, Burkhard Gladigow und Martin Greschat,
Kohlhammer, Stuttgart 2005.

Wenn ich mich richtig erinnere, schreibt auch Stephen Mithen in seiner 'Prehistory of Mind' was dazu.
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Hans T. » 29.03.2012 22:47

Ach du meine Güte.

Bestattungen, von manchen bereits beim HSN als belegt angesehen, sind die ersten eindeutigen Hinweise auf Religiosität.


Wirklich? Ist Achtung vor dem Anderen bereits Religion? Trauer auch bereits Religion? Nee, nicht, oder?
Evolutionärer Vorteil von Religion? Seit wann sind soziale, psychologische, organisatorische und vor allen Dingen politische Prozesse Teil der Evolution?

Ich würde mich allenfalls auf eine Diskussion einlassen, ob aufgrund kognitiver Prozesse bei nun mal halt einigermassen intelligenten Wesen, Religion ein nahezu unvermeidbares Erklärungsmodell ergibt. Insoweit vielleicht Folge der Evolution, aber gleich ein evolutionärer Vorteil?
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon ulfr » 29.03.2012 23:01

Hans T. hat geschrieben: Seit wann sind soziale, psychologische, organisatorische und vor allen Dingen politische Prozesse Teil der Evolution?


Dünnes Eis, Hans, > Evolutionspsychologie ...

Definiert Religiosität! Glaubte "Groompf", dass mit "Olgg" etwas geschehen/nicht geschehen würde, wenn er ihn vergrub und mit Ocker (und Blumen? - Sch..ß Mäuse) bestreute? Und WAS glaubte er, würde geschehen? Da wird was fassbar ... - frag mich morgen nochmal, jetzt is spät ...
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon hugo » 29.03.2012 23:13

Bitte Vorsicht bei Inna Wunn. Sie ist mehrfache Mutter, Paläontologin,Theologin und Politikerin. Ich hab vor Jahren schon den Blödsinn mit dem Sichel- bzw. Krummschwertgott mit bekommen und wunderte mich sehr, dass das in seriösen Zeitschriften erscheinen durfte. Da war ja Marija Gimbutas noch eine philosophische Leuchte dagegen :4:
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Hans T. » 29.03.2012 23:20

Glaubte "Groompf", dass mit "Olgg" etwas geschehen/nicht geschehen würde, wenn er ihn vergrub und mit Ocker (und Blumen? - Sch..ß Mäuse) bestreute?


Klassische Rückprojektion. Zudem frag ich mich ernsthaft, ob wir bei religiös und dadurch quasi zwangsweise erzeugten Grabritus nicht doch zu wenig Gräber haben. Und das mit den Blumen hat sich das nicht auch erledigt, glaube ich mir zumindest zu entsinnen.

Beerdigungen sind anhand schlichter praktischer Überlegungen und anhand einfacher psychologischer Muster zu erklären. Wenn Elefanten Schaufeln hätten, würden sie es auch machen.

Evolutionspsychologie


Ja, ja, mein Lieblingszweig der Psychologie. Männer schlafen im Hotel immer auf der Türseite des Bettes, weil sie Höhlen bewachen müssen. Und Frauen müssen sammeln, und wenns Schuhe sind. Grrgs.
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Blattspitze » 30.03.2012 07:33

Religiosität nach Wikipedia:
"Religiosität bezeichnet die unterschiedlichen Arten von Glaubenshaltungen und deren Ausdrucksweisen (Riten, Werte, moralische Handlungen), mit denen Menschen sich auf eine welttranszendente Letzt-Wirklichkeit (unpersonal oder personal Göttliches) oder auf überweltliche Mächte (Geister, Engel) beziehen."
http://de.wikipedia.org/wiki/Religiosit%C3%A4t




Bestattungen, also "mehr" als Verscharren, um z.B. Aasfresser nicht anzulocken, könnte sich durch Beigaben manifestieren. Ich weiss gar nicht, was z.Zt. beim HSN gänige Interpretion ist, es gab da vor Jahren einen interessanten franz. Sammelband, wonach planvolle Bestattungen als gegeben angesehen wurden, oder?
Beigaben für ein Leben nach dem Tode oder erhält der Tote seine eigenen Gegenstände aus "Achtung"?

Hans T. hat geschrieben: Wenn Elefanten Schaufeln hätten, würden sie es auch machen.



... und sie würden sicher ein paar Stosszähne aus Achtung vor dem toten Mitglied beigeben, wenn sie nur Geld für eine Säge hätten ...

Außerdem, HSS ist eindeutig religiös (Gibt es überhaupt ein Beispiel einer vorindustriellen Gesellschaft ohne Religion?) und hat sich sehr deutlich durchgesetzt, hihi ...

(Mir gefällt der Gedanke, in Diskussionen mit Kreationisten sagen zu können: "Dein unerschütterlicher Glaube ist Wasser auf die Mühlen der Evolutionstheorie.")
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Hans T. » 30.03.2012 22:16

aus Achtung vor dem toten Mitglied


Genau. Das reicht auch als Motivation. Eine Erweiterung um "Jenseitsvorstellung" ist doch gar nicht notwendig.
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Blattspitze » 31.03.2012 12:46

Wobei "Achtung vor dem toten Mitglied" auch nur eine Rückprojektion ist. Aus unserer heutigen religionsferneren Sicht. Was ist (und wozu motiviert) Trauer? Selbstmitleid?
Göbekli Tepe ein "Heiligtum"? Könnte doch auch die reine Freude an Form, Gestaltung und der Größe eigener Schaffenskraft sein? - Nö!
Zumindest Affen (deren Hände ja auch sonst als Schaufeln eingesetzt werden) begraben tote Artgenossen nicht.
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon ulfr » 31.03.2012 13:50

Hans T. hat geschrieben: Männer schlafen im Hotel immer auf der Türseite des Bettes, weil sie Höhlen bewachen müssen. Und Frauen müssen sammeln, und wenns Schuhe sind. Grrgs.


Das greift ein bisschen kurz, Hans, ich meinte eher die An- und Abschaltung von Genen innerhalb einer Generation oder Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Evolution und Altruismus:

http://oekonomie.suedblog.de/2010/02/17 ... racht-hat/
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Re: Religiosität als evolutionärer Vorteil?

Beitragvon Hans T. » 31.03.2012 20:22

Alle Beiträge in Foren greifen zu kurz, Wulf. Wir schreiben hier ja keine Aufsätze. Für das von dir verlinkte Beispiel gibts auch Gegenbeispiele, grad eben (wie finde ich das bloss wieder...) wurde eine Vergleichsstudie mit Schimpansen und Kindern zu genau diesem Thema veröffentlicht. Natürlich war der Mensch "altruistischer", aber völlig ohne waren die Schimpansen auch nicht. Was mich nicht überrascht. Da wären wir schnell zusammen, Wulf, da würde ich wirklich als evolutionären Vorteil ansehen. Aus meiner Sicht jedoch ist der allergrösste Vorteil des HSS, dass er solche Bedürfnisse strukturieren und je nach Bedarf ausblenden bzw unterschiedlich gewichten kann. Die Maslowsche Pyramide ist nicht statisch, sondern extrem flexibel. Das ist der Gag und das macht den Menschen so unschlagbar. Mit Religion hat das aber alles nix zu tun, alle diese Grundbedürfnisse sind in verschiedenen Ausprägung auch in anderen Säugetieren vorhanden, ansatzweise. Aber dann halt eben die Evolution....

Ausnahme wäre allenfalls die Spitze der Maslowschen Pyramide: Da ist der Mensch wirklich alleine. Meine völlig private Theorie geht allerdings in die Richtung, dass man den "Meaning of Life" einfach erklären muss, ansonsten man mit seiner Intelligenz gegen eine Wand läuft. Religion kann da das Balancegewicht bilden. Im übrigen empfehle ich dazu den gleichnahmigen britischen Film. Oder John Lennon, der ja sagte, all you need is....

H
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