Fort Schritte ;-)

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Beitragvon Martin » 05.12.2008 21:52

Hallo,

nachdem sich bei mir eine Reihe von Nachbauten angesammelt hat, dachte ich mir, ich versuche einfach einmal über die nächsten Tage einen kleinen chronologischen Abriß römischer Schuhmode, der tatsächlichen Funden folgt (hier schon mal vielen Dank für alle Kommentare, Anmerkungen und Ergänzungen). Das bedeutet, dass wir so um die Zeitenwende beginnen müssen, mit calceus, solea und caliga. Voraus zu schicken ist noch, dass die lateinischen Bezeichnungen sich an der heute in der Forschung gängigen Benamungspraxis orientieren und nicht unbedingt den damals verwendeten Bezeichungen entsprechen müssen.

Einige gut erhaltene Exemplare dieser 3 Typen aus dem 1. Jh. n. sind in Mainz gefunden worden, hier zuerst einmal Fotos von calcei Nachbauten.

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Der calceus ist ein geschlossener Schuh, der mehrteilig aufgebaut ist und sich mindestens aus Oberleder, Brand-, Zwischen- und Laufsohle zusammensetzt. Das Oberleder ist fast ausnahmslos einteilig und dementsprechend auch nur mit einer Naht vorne oder seitlich geschlossen.
Weitere Funde stammen aus Ägypten, sind aber meines Wissens nicht eingehender publiziert.

Interessant an den Mainzer Funden ist, dass die meisten der Funde nicht benagelt waren und das Oberleder (Ziege) mit der Fleischseite nach außen verarbeitet wurde. Nahtspuren lassen auf vermutlich textiles Futter schliessen (ich habe Leinen verwendet). Wenn Goette mit seinen Ausführungen recht haben sollte, könnte der aus der Literatur bekannte calceus equester so oder so ähnlich ausgesehen haben.

Literatur zum calceus d. 1. Jhs. n.:
Goette, Hans Rupprecht: Muleus, Embas, Calceus. Ikonographische Studien zu römischem Schuhwerk.Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 103, 1988. 401-64
Göpfrich, Jutta: Römische Lederfunde aus Mainz. Offenbach: 1991
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Beitragvon Martin » 05.12.2008 21:59

Die Solea taucht ebenfalls schon früh auf, scheint aber zu dieser Zeit noch v.a. von Frauen getragen worden zu sein. Ebenfalls aus Mainz stammt ein auf das frühe 1. Jh. n. datiertes Exemplar, das ich allerdings etwas frei (will heißen passend für meine Tochter) nachgebaut habe - die Sohlenform des Originals ist etwas schlanker und kantiger.

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Als solea wird Schuhwerk bezeichnet, das aus einer ein- bis dreilagigen Sohle besteht und mit wenigen Riemen am Fuß gehalten wird. Sie kann auch benagelt sein, vor allem am Randbereich.

Literatur dazu:
Göpfrich, Jutta: Römische Lederfunde aus Mainz. Offenbach: 1991
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Beitragvon ulfr » 05.12.2008 22:58

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... und so sieht der neu verlegte Eichenbretterboden aus, wenn die Jungs mit Ihren calcei da rüber laufen... GNAGNAGNAGNA.....

Schöne Arbeit, Martin, machst Du die Nägel selbst?

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Beitragvon Martin » 07.12.2008 21:05

ulfr hat geschrieben:... und so sieht der neu verlegte Eichenbretterboden aus, wenn die Jungs mit Ihren calcei da rüber laufen... GNAGNAGNAGNA.....


:-) Wo war denn das - Aalen?

Schöne Arbeit, Martin, machst Du die Nägel selbst?


Nein, die auf den Fotos oben sind maschinell hergestellt und mit das Beste was derzeit verfügbar ist (vom Schaft mal abgesehen ...).
Ich hab für ein Paar Schuhe aber auch mal kleinere selbst gemacht (x200, Schweinearbeit :-P):

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Größere nach Funden vom Auerberg (galub ich, wars) haben wir auch mal ein paar gemacht (da ist aber der Schaft zu lang):

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Edit: hier noch ein Bildchen, wie die Laufsohlen mit dem Tunnelstich für die blinde Naht aussehen (hinten sind die Ränder schon hochgezogen, um besser am Oberleder anzuschließen):

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Zuletzt geändert von Martin am 13.01.2009 12:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Martin » 07.12.2008 21:11

Die Caliga ist wohl der bekannteste Schuhtyp römischer Zeit (die Dinger, die immer stehen bleiben, wenn Obelix ... ;-)), allerdings durch Funde meines Wissens nur für etwa 100 Jahre zu belegen, die jüngsten Fragmente datieren ins späte 1. Jh. n. In Vindolanda (Hadriansmauer) finden sich noch Schuhe, die eine Weiterentwicklung der Caliga sein könnten, eindeutig belegen läßt sich das aber nicht.
Typisch für die Caliga ist ihr 3-lagiger Aufbau: Laufsohle und Innensohle, zwischen denen sich eine weitere Lederschicht, die gleichzeitig das Oberleder bildet, befindet. Das Oberleder besteht aus verhältnismäßig dünn geschnittenen Riemen, die den Fuß bis über den Knöchel hinauf umschließen. Als einziger Schuhtyp liegt hier die (doppelte) Naht des Oberleders hinten an der Ferse, oft auch von einem Schutz- bzw. Zierstreifen überdeckt. Die meisten erhaltenen Exemplare weisen Zierbändchen an verschiedenen Stellen des Oberleders auf.

Hier ein wohl Exemplar des vermutlich frühen 1. Jh. n., nach einem Mainzer Fund.

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Zum Vergleich ein Paar, das Funden aus Valkenburg und Castleford nachempfunden ist.

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Literatur:

Lindenschmit, Ludwig. Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit Bd.4. Mainz 1900
Berti, F. Fortuna Maris. La Nave Romana di Comachio. 1990
Groenman-van Waateringe, W.: Romeins lederwerk uit Valkenburg Z.H., Groningen 1967
Driel-Murray, C. van: The Leatherwork from the Fort. in Cool, H.E.M. and Philo, C.: Roman Castleford Excavations 1974-85. Volume I: The Small Finds, Yorkshire Archaeology 4, Wakefield 1998. 285-303
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Beitragvon Steve Lenz » 08.12.2008 12:00

So "filigran" geschnitten sehen die richtig toll (wie denn auch anders von Dir zu erwarten) aus! Ich kenne nur die relativ grob geschnittenen - keine Hingucker, echt nicht.

Aber die? Klasse!
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Beitragvon ulfr » 08.12.2008 12:50

Schöne Arbeit. Obwohl es irgendwie nicht passt, so filigranes Lederwerk mit genagelten Sohlen. Das Bild ist tatsächlich aus Aalen kurz nach der Einweihung.

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Beitragvon Martin » 08.12.2008 17:47

Steve L. hat geschrieben:Ich kenne nur die relativ grob geschnittenen


Ja, leider ist das der Normalfall bei den Nachbauten. Da hat sich ein Standardschnittmuster (das natürlich so auch nicht zu belegen ist) verbreitet und jeder denkt, lieber ein bisschen breiter die Riemen, so hälts womöglich nicht ...
Tatsächlich ist das Verhältnis "viel Fuß und wenig Leder" (und nicht umgekehrt)!

ulfr hat geschrieben:Das Bild ist tatsächlich aus Aalen kurz nach der Einweihung.


Ja, so habe ich es von damals auch in Erinnerung :-)
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Beitragvon Steve Lenz » 08.12.2008 17:53

Tatsächlich ist das Verhältnis "viel Fuß und wenig Leder" (und nicht umgekehrt)!



Das wirkt der breiten Masse männlich-tougher Legionärsdarsteller vielleicht eine Spur zu Gay?! :twisted:
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Beitragvon Claudia » 08.12.2008 20:58

Dasselbe Problem gibts bei den germanischen Schuhen und auch bei Mittelalter-Schuhen. Der modernen Nachbauer hat immer entweder Angst, die Teile könnten nicht lange genug halten und verwendet dann viel dickeres Leder als im Original oder schneidet Riemen/Zungen etc zu breit oder aber man ist zu faul, so viel Arbeit zu investieren, wie ein originalgetreuer Nachbau verlangen würde. Ich habe irre lange gebraucht, bis ich meine Ägyptenmoor-Schuhe ausgeschnitten hatte (ich glaube, pro Schuh habe ich einen ganzen Tag gebraucht). Ich hatte allerdings auch einen Schnitt gemacht, der am Voderfuß nur eine Zunge weniger hat als das Original (das Original hat 28, meine haben 27). Die meisten Leute machen da deutlich weniger Zungen. Das ganze Geschnippel macht halt Arbeit, VIEL Arbeit...
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Beitragvon Martin » 12.12.2008 22:13

Gegen Ende des 1. Jhs. kamen allem Anschein nach geschlossene, knöchelhohe Schuhe mit großflächigem Durchbruchsmuster in Mode. Sie scheinen sich allerdings nicht besonders lange gehalten zu haben, früh im 2. Jh. verschwinden sie bereits wieder. Ebenso wie bei späten caligae ist auch für diese Schuhe typisch, dass die Kammlinie der Verschnürung nicht wie sonst üblich in der Mitte des Fußes verläuft, sondern deutlich nach innen verschoben ist. Hier ein Nachbau eines Fundes (nur das Oberleder ist erhalten) aus Vindolanda:

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und eine Variante in rot:

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Literatur:
Driel-Murray, C. van, John Peter Wild et al.: Vindolanda. Research Reports, New Series. Vol. III The Early Wooden Forts. 1993
Schleiermacher, M.; Laurenze, C.: Römische Leder- und Textilfunde aus Köln, in Archäologisches Korrespondenzblatt 12, 1982, pp. 205-216.
Zuletzt geändert von Martin am 12.12.2008 22:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Martin » 12.12.2008 22:21

Ein Blick auf die Unterseite mit einem Benagelungsmuster des späten 1. /frühen 2. Jhs. (das sind jetzt die selbst gemachten Nägel :-)):

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und ein Blick ins Innenleben: Das Oberleder wurde gewöhnlich (im Unterschied zu moderner Schustertechnik) quer verspannt. Der Raum zwischen Brand- und Laufsohle wurde häufig durch laminae, die wohl aus Resten geschnitten wurden, ausgeballt. Lederstreifen verbanden diese mit der Brandsohle und verhinderten so ein verrutschen:

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Laufsohle und Oberleder wurden oft per Tunnelstich verbunden, um die Naht länger vor den Durchlaufen zu schützen:

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Zuletzt geändert von Martin am 12.12.2008 23:03, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Claudia » 12.12.2008 22:54

WOW! :shock:
*Sabber wegwisch*
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Beitragvon Indy » 13.12.2008 10:09

SEHR SEHR BEEINDRUCKEND!!!

Und eine tolle Idee mit den Fort-Schritten. Ich freu mich auf die Fort-Setzung :nähen:
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Beitragvon magali » 13.12.2008 15:13

Phantastische Arbeiten! Bitte sag, dass Du Schuster bist oder so aehnlich :nähen:
magali
 

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