Foënes

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Foënes

Beitragvon ulfr » 16.01.2010 12:32

Werte Gemeinde,

ich arbeite derzeit mit Prof. Bosinski an einem Projekt, in dessen Zusammenhang wir uns mit den folgenden Geweihgeräten befassen. Sie werden in der französischen Literatur als "foënes" angesprochen, was sich wohl am besten mit "Dreizack" oder so ähnlich übersetzen lässt, jedenfalls werden im Französischen mit "foënes" Geräte bezeichnet, die so aussehen wie Aalstecher http://www.archaeoforum.de/viewtopic.php?t=2525.

Die abgebildeten Funde stammen von einem südfranzösischen Magdalenien-Fundplatz am Fluss Aveyron. Sie kommen im gesamten südfranzösischen Raum vor, andernorts jedoch nicht.

Wer hat eine Idee, was das gewesen sein könnte? Kennt jemand solche Geräte aus ethnologischem Kontext oder aus dem Angelschuppen seines Opas?

Wie könnte eine Schäftung ausgesehen haben? Die Dinger sind vielfach an der Basis abgeschrägt und mit Riefen versehen, die - analog zu den Geschossspitzen - wohl eine Klebeverbindung verstärken sollen. Allerdings läuft diese Schäftungszone bei einigen Exemplaren bis in den Bereich, wo schon seitliche Zacken zu sehen sind....

Wir werden aus diesen Teilen nicht so ganz schlau.
Bis gespannt auf Eure Meinungen...

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Beitragvon Steve Lenz » 16.01.2010 12:55

Das größte Bild steht nicht im Zusammenhang mit dem Maßstab (3cm?), oder? Vergrößerung?

Sehe ich das richtig, dass die teilweise bis an die Spitzen verziert (?) wurden? Und da sind auch keine Widerhaken zu finden, die ich an Fischfanggerät eigentlich erwarten würde.
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Beitragvon Blattspitze » 16.01.2010 13:08

Sind die tatsächlich so gleichförmig, dass sie zwingend mit einer einzigen Funktion zu verbinden sind?

Ich tippe mal ins Blaue:
1) Schrotschussprinzip. Spitzenaufsätze von mehrfachen Spitzenenden einzelner Speerschäfte für die Vogel- / Kleintierjagd.
2) Übungsspitzen, die mit einem besonderen Zielmaterial in Verbindung stehen.
3) Bei einigen könnte ich mir auch aufbind- und klebbare Widerhaken vorstellen, mit denen "Standard"-Speere gepimpt werden können.
Marquardt
Edit: 4) Teile eines Geschicklichkeitsspieles
5) Essgabeln
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Beitragvon LS » 16.01.2010 13:16

Bei den oberflächigen Riefen tippe ich darauf, dass Gift aufgetragen wurde, das dann in den Riefen besser hält. Dasselbe gibt´s ja auch bei den konischen Knochenspitzen des Magdalénien (Laugerie Haute zum Beispiel). Daher tippe ich auf "terrestrische" Projektile.
Wenn Ihr ein paar Kandidaten für Residuenspuren untersuchen lassen wollt, hätte ich evtl. Interesse.

Gruß L.
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Beitragvon Steve Lenz » 16.01.2010 13:20

Ich würde da nicht mal zwingend von Jagdgerät ausgehen. In einer Zeit mit geringer Bewaldung hat man bei Standortwechsel nicht immer die Garantie, immer alles zu finden, was man benötigt. Also baut man es sich und führt es mit.

Geschäftet und in den Boden geschoben würde ich die Teile als Aufhänger für Netze oder andere Dinge, die vom Boden sollen (aufgefädelter Trockenfisch, o.ä.) ansprechen.
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Beitragvon ulfr » 17.01.2010 12:36

Steve Lenz hat geschrieben:Maßstab (3cm?), oder? Vergrößerung?

bis an die Spitzen verziert (?)
keine Widerhaken


Der Maßstab bezieht sich m.W. auf alle Abbildungen.
Die Teile sind manchmal voll verziert.
Widerhaken gibts nicht bis auf die angedeuteten bei "foenes2" unten rechts. Da könnte ich mir allerdings auch eine Funktion als "Giftrillen", wie Leif meint, vorstellen.

Sind die tatsächlich so gleichförmig, dass sie zwingend mit einer einzigen Funktion zu verbinden sind?


Scheint so, auffällig ist vor allem, dass offenbar eine Spitze immer länger ist als die andere....

Ich werd Jörg mal fragen, vielleicht ist es ja doch was Fischiges ...
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Beitragvon Steve Lenz » 18.01.2010 10:05

Das linke Gerät sieht den fraglichen Objekten in Bezug auf Zinkenabstand ziemlich ähnlich. Und wer hat´s gebaut? Der Jörg natürlich! :D

http://farm4.static.flickr.com/3221/266 ... c44d08.jpg
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Beitragvon Jörg Nadler » 20.01.2010 22:37

Hallo miteinander !

Eine Verwendung dieser Geräte zum Fischfang sehe ich nicht unbedingt als einzige mögliche Deutung.
In diesem Falle könnte ich mir vielleicht noch am ehesten den Gebrauch als "Krebsstock" oder "Krebsgabel" vorstellen.
Bei der Befischung eines ehemaligen Steinbruchsee im Siegerland zeigte mir mein Lehrmeister Ulrich Wolff 1988 diese primitive wie auch effektive Technik des Krebsfanges.
Damals, im Sommer 1988, fingen wir dort Edelkrebse für ein Nachzuchtprogramm der Landesanstalt für Fischerei NRW.
Ulrich Wolff schnitt 1,3-1,6 Mtr. lange gerade Haselstöcke, kerbte dies am Ende ein und steckte einem kleinen Stein dazwischen. So ergab sich daraus eine kleine Gabel mit zwei etwa 5-6 cm langen Zinken .
Ggf dünnte er diese Gabel noch etwas aus oder umwickelte er das Ende der Kerbe mit etwas Netzgarn, damit sich der Stock nicht weiter aufspaltete.
Damit ließen sich auf dem steinigen Grund dieses Sees, auf welchem der Fang mit dem Kescher am Grund zwischen großen Steinen teilweise problematisch war, leicht Krebse fangen. Vor allen in Wassertiefen von über 80 cm, wo das Wasser für unsere Stiefel zu tief war oder der Fang mit der Hand nicht mehr leicht möglich ist, ohne sich für den Rest der Nachtfischerei nasse Kleidung zu holen.
Mit Fischresten als Köder lockten wir die Krebse an das flache Ufer.
Wir fischten dort seinerzeit die zahlreichen Krebse je nach Beschaffenheit der jeweiligen Uferstrecke über Nacht mit Reusen oder unter Kunstlicht mit Krebsstöcken, Keschern und sogar mit der Hand.
Teilweise waren die simplen Krebsstöcke ergiebiger als der Kescher.
Krebse werden mit dem Krebsstock gegen den festen Grund in dessen Gabel eingeklemmmt.
Mit etwas Fingerspitzengefühl wird der Krebs dabei nicht verletzt, wenn die hölzerne Spitze entsprechend flexibel gearbeitet ist oder das passende Durchmesser des Krebspanzers hat, so das dieser gerade nur geklemmt wird.
Allerdings habe ich keine Erfahrungen mit der Krebsfischerei mit etwaigen Krebsgabeln mit einer eher unflexiblen Spitze (wie im möglichen Falle von Geweih).
Aus dem englsichsprachigen Aufsatz "early medieval fishing"(Bass of Clive) kenne ich einen als "frühmittelalterlich"gedeuteten Fischspeer zur Aalfischerei, jedoch im Gegensatz zu der Lyster nicht mit nach außen, sondern mit nach innen geschränkten Spitzen.
Als Grundlage diente in diesem Fall eine etwa gleichschenklige Astgabel, auf deren einen Schenkel ein nach innen gezahntes Stück Geweih oder Knochen gesteckt wurde.
Dieses Gerät erinnert eher an die Fischereigeräte des Neolithikums und älterer Zeitepochen als an ein frühmittelalterliches Fischereigerät..
Das Foto, auf das Steve hinweist, zeigt neben der Lyster einen hölzernen Fischspeer.
Dieser hat jedoch mit ca. 50 cm im Vergleich recht lange Spitzen. Funde solcher hölzerner Spitzen stammen u.a. aus Oberdorla, Datierung Eisenzeit/röm Kaiserzeit und aus England, Datierung "frühmittelalterlich" (in diesem Fall ohne genauere Datierung oder Quellenangabe)
Die Foenes sind allerdings wohl bedeutend kleiner.

Vielleicht fällt Harm Paulen, der Ende dieses Monats in den Ruhestand geht, eine passende mögliche Erklärung ein. :idea:
Harm hat "meterweise" Fundberichte zu den unterschiedlichsten Funden ,welche der Fischerei und Jagd zugeordnet werden, in seinem Büro. Es würde mich sehr wundern, wenn Harm bislang noch nicht auf die "Foenes" gestoßen wäre.
Jörg Nadler
 

Beitragvon Nils B. » 20.01.2010 23:48

Kann sein, daß ich absoluten Unsinn rede, aber um des Brainstormings willen: ich muß bei einigen dieser Stücke, insbesondere denen auf dem oberen Bild, an altmodische hölzerne Wäscheklammern denken. Hier wahrscheinlich massiv genug, um damit auch frischgegerbte Lederhäute aufzuhängen/festzuklemmen/aufzuspannen?
***
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Beitragvon KatrinA » 21.01.2010 09:57

Na wenn hier schon andere brainstormen, werf ich auch noch mal was rein:

Äußerst hypothetisch könnte es sich auch um eine Häkelgabel (Lucet) handeln. Eine Beschreibung findet sich hier:
http://www.stringpage.com/lucet/lucet.html
Man kann damit eine Art geflochtene Schnürchen herstellen.

Gegen die Interpretation als Lucet spricht:
- Es wird, v. a. von Verkäufern entsprechender Geräte und Anleitungen, immer wieder behauptet "uralte Technik" und z. B. "Belege aus der Wikingerzeit", wenn man dann mal nachbohrt, kommt wenig (das findet man auch auf der von mir verlinkten Seite).
- Man kann diese Technik auch ohne dieses Gerät nur mit den Fingern ausführen, oder mit einer Astgabel etc. Die modernen Geräte haben gleichlange Zinken.
- Funde von mit dieser Technik hergestellten Schnürchen scheint es irgendwo irgendwann zu geben, aber wirklich Genaues weiß ich nicht darüber. Jedenfalls gibt es zu wenig, als dass man vollmundig "uralte Technik seit der ...zeit" behaupten könnte.

Insofern, ich denke die Fischerei führt nach Punkten.

:matrone:
KatrinA
 

Beitragvon ulfr » 21.01.2010 11:09

Hier darf nicht nur jeder brainstormen, hier SOLL jeder brainstormen^^

Danke erstmal an Euch alle, die Krebsgabel wäre auch mein Favorit gewesen, Jörg. Insbesondere, weil der Fundplatz direkt an einem Fluß liegt. Das die Zinken allerdings flexibel angebracht werden müssen, wusste ich nicht.
Aber auch alle anderen Interpretationen sind nicht von der Hand zu weisen bzw. liefern interessante Denkanstöße. Eine Untersuchung von eventuellen Residuen ist bestimmt genauso wünschenswert wie eine mikroskopische Untersuchung auf Gebrauchsspuren.
Wem noch was einfällt - ich bin gespannt.
Harm sehe ich übermorgen, werde ihn mal löchern...
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Beitragvon Claudia » 21.01.2010 11:14

Für "Wäscheklammern" gehen mir die mittigen Einkerbungen an ein paar Exemplaren zu schnell zu weit auseinander. Das klemmt nicht ausreichend. Manche könnten gehen, aber nicht alle.

Lucet halte ich aus denselben Gründen wie Katrin für unwahrscheinlich. Bisher gewinnt auch für mich die Krebsgabel.
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Beitragvon LS » 23.01.2010 18:15

Was unterscheidet die von Wulf gezeigten Foenes von gleichnamigen Geräten aus dem 19. Jahrhundert, siehe zum Beispiel hier (runterscrollen, Angebot ist leider schon zu Ende, sonst hätt ich´s gekauft...):
http://cgi.ebay.fr/ws/eBayISAPI.dll?Vie ... 0471230479
- ???
Richtig: die zum Teil außen angebrachten Widerhaken. Ich bleibe daher mal bei terrestrischen Projektilen. Schmale Spitzen hatten beim Abwurf mit der Speerschleuder zum Teil einfach zu viel Bums... man will ja durch den Hasen nicht durchschießen. Andere Merkmale, wie Rillen und die geriffelte schräge Basis sind ebenfalls typisch Magdalénien-Projektil.

PS: In Südfrankreich befanden sich bestimmt 80% aller Fundstellen an Flüssen, deswegen gibt es trotzdem jede Menge Tierknochen.

Wie sagte doch Winnetou: Ich habe gesprochen, HOW.
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Beitragvon Jörg Nadler » 17.03.2010 23:41

Sehr interessant sind Darstellungen und Beschreibungen aus dem deutschsprachigen Klassiker zur Fischereigeschichte:
"Vorgeschichtliche Fischereigeräte und neuere Vergleichsstücke" von Eduard Krause, Verlag von Gebrüder Borntraeger , Berlin , erschienen bereits im Jahr 1904.
Abbildungen finden sich Tafel 7 , Abb 253, 254 und 259.
Intensiv werden die Gabelspitzen und ihre Verwendung als Projektilspitzen zur Fischerei mit dem Bogen dann auf Seite 68 besprochen.
Auch finden sich dort weitere Abbildungen, es gibt einen Fund aus dem Mittelalter( Burg Siegmundskron, Schweiz).
Diesen Schweizer Fund entdeckte Eduard Krause im Museum Bozen.
Krause beschreibt diese Gabelspitzen als Pfeilspitzen für die Fischerei. Verbreitet waren diese vonMittelamerika( Yucatan) über Nordamerika und Nordasien(Samojeden) .
Besonders interessant ist Abb. 259, welche einen Fund aus Hornstein aus Yucatan zeigt.:wink:
Jörg Nadler
 

Beitragvon Thomas Trauner » 18.03.2010 10:08

Ich versuch´s auch mal.

Die Geräte werden aufgeklebt. Das sagt mir die Klebefläche, schräg geschnitten und eingeritzt, um größere Klebefläche zu erreichen.
Ergo ist ein Stab/Stock etc. dran.
Sie werden also nicht einfach in der Hand gehalten.
Sie haben nur gemeinsam, dass mindestens zwei Spitzen dran sind. Alles andere ist unterschiedlich. Es kommt also nur auf die Spitzen an. Ich würde demnach ein spezielles Werkzeug für Netzflicken etc. ausschließen, da ein solches Werkzeug gleichförmiger und nicht so individuell sein sollte.

M.E. sind es keine Widerhaken, die wären ja nach unten, nicht nach oben gebogen.

Bei den Geräten ohne „Widerhaken“ denkt man unwillkürlich an Fischfang.
Bei den mit „Widerhaken“ an größere Fische, weil ja sonst die vordere Gabel längst durch das Tier durch ist, bevor die anderen Spitzen greifen.

Welche Merkmale hat ein Geschoss mit Gabel ?
A) es dringt nicht so tief ein, weil schnell Energie vernichtet wird, dafür wirft es die Jagdbeute leichter um, eben wegen der plötzlichen Energievernichtung.
B) es sitzt gut fest, da es sich in der Wunde nicht dreht. Die aufgeraute Oberfläche macht den Sitz noch besser.
C) u.U, ist aufgrund des größeren Gewichtes und auch des Luftwiderstandes die Reichweite (falls geworfen oder geschleudert) etwas geringer, wenn auch marginal.

Ein Geschoss sollte gut sitzen, damit das Tier das Projektil nicht abstreifen kann und sich die Wunde wieder schließt. Da wären jedoch echte Widerhaken sinnvoller.

M.E. handelt es sich um ein Gerät, dass in der Hand gehalten wurde und nach Eindringen in die Beute bewegt wurde, nicht so sehr in Richtung rückwärts (Widerhaken wären sinnvoller) sondern eher seitlich. Als eine eher schwingende, drehende Bewegung.
Da wären wir dann tatsächlich bei
a) Fischfang
b) Kleinwild. Hasenfang mit aufgestellten Netzen in die Enge treiben und dann...zack. Oder Bodenbrüter. Irgendwie muss das Kleinwild/Vögel ja festgehalten werden um es unter einem Fangnetz hervorzuholen.

Also irgendein zappeliges Wild, dass mit einem kurzen Stoß trotzdem sicher festgehalten wird.

Zukünftige Ehemänner wären also auch eine Möglichkeit.... :D

Thomas
Thomas Trauner
 

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