Ältester Nachweis für Loden?

Auch die Verarbeitung von Pflanzenfasern zu Stoffen, Wolle, Filz etc. findet hier Platz.

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Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon Blattspitze » 20.06.2019 09:48

Ich wollte mich dem aktuellen Funktionskleidungsterror, der z.B. bei dem berühmten Autdor-Spezi Globtrottel in Form von "Softschäll", "Fliies" etc. aus Joghurtbecher- und Plastiktütenmaterial angeboten wird, verweigern.
Ich bin dann auf ganz vorzügliche, modern und praktisch geschnittenen Lodenprodukte aus heimischer Produktion gestossen, deren Nachhaltigkeitsgrad im Vergleich zum vorgenannten unfassbar hoch ist und die nicht im geringsten meinem zuvor gehegten Loden-Vorurteil entsprachen. Seit Monaten trage ich nun eine entsprechende Jacke und ich liebe sie aufgrund ihrer zahlreichen Vorteile gegenüber Erdölklamotten (einziger Nachteil abgesehen vom höheren Anschaffungspreis: nach stundenlangem Regen kommt irgendwann doch Wasser durch und es wird schwer,- aber auch im nassen Zustand wärmt Loden).
Der Hersteller meiner Jacke wirbt u.a. hiermit:

Wir verwenden einen der ältesten Outdoorstoffe der Welt und zwar Schafschurwolle die gewebt und danach gewalkt wird (Loden). Der Begriff Loden ist bereits seit dem 10. Jahrhundert belegt und ab dem 12. Jahrhundert wird die erste Walkmühle Deutschlands urkundlich erwähnt.

Kennt jemand den ältesten Nachweis für Loden?
Bezüglich der nordischen bronzezeitlichen Baumsargbestattungen kenne ich diese halbkugeligen Mützen, die gewebt (?) sind und z.T. filzartige Strukturen aufweisen sollen ???
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon AxtimWalde » 22.06.2019 14:02

So nun wieder unter den Lebenden!

Hey Blattspitze,

Unser Team im Museum und unsere spezielle Schneiderin haben immer wieder die Problematik der Textilien der Bronzezeit erörtert, diskutiert, und nachgearbeitet. Die Kopfbedeckungen waren allerdings nur ein Randthema. Dennoch hast du völlig Recht, dass z. B. die Kappen von Borum Esthøj aus Wollgewebe bestehen, deren äußere Bereiche verfilzt erscheinen. Ob man diesen Stoff nun schon als Loden bezeichnen kann weiß ich nicht. Dieses scheint ein Problem der Definition zu werden.
Sollten alle Gewebe die gewalkt resp. gefilzt worden sind als Loden bezeichnet werden, so dürften die Funde von Borum schon recht alt sein (ca. 1350 v. Chr.). Möglicherweise gibt es noch ein wenig älter Befunde aus der Taklamakan Wüste. Auch hier gibt es Kopfbedeckungen, die nach „Loden“ aussehen.
Z. B. „Die Schöne von Xiaohe“

https://www.extremnews.com/berichte/wis ... 4a1d5/info

oder:

https://www.alamy.de/perfekt-erhaltenen ... 50102.html
Leider habe ich bis dato noch keine genauere Beschreibung der ca. 3800 Jahre alten Funde gefunden, ob es sich tatsächlich um gefilztes Gewebe oder reinen Filz handelt.

LG
Kai.
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon Blattspitze » 23.06.2019 21:31

Hallo AiW, vielen Dank für die Infos!
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon ulfr » 24.06.2019 17:37

Das sagt Lüning auch - er propagiert Filzhüte schon für die LBK, weist darauf hin, dass Filz erst für spätere Perioden nachgewiesen ist, bleibt aber das Zitat schuldig ...
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon ulfr » 27.06.2019 10:21

So ... meine verehrteste "Textiltante" spricht:

"Prinzipiell haben wir gewobene Stoffe, die an der Oberfläche durch Filzen verändert (winddichter, wasserdichter) gemacht worden sind (also im modernen würde man Loden dazu sagen), spätestens seit der Eisenzeit nachgewiesen mit einem Fund aus Hallstatt.

Filz ist was anderes, das besteht nicht aus einer GEWOBENEN Grundfläche, die verfilzt wurde, sondern aus Wollflocken, die miteinander verfilzt wurden (also die Arbeitsgänge spinnen und weben fehlen)."
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon AxtimWalde » 27.06.2019 14:41

Hey Zusammen!

Die Definition, die bereits Blattspitze geliefert hatte (s. o.) scheint also allgemein richtig zu sein. Warum allerdings deine "Textiltante", Ulfr, die Bz-Befunde aus dem hohen Norden nicht benannt hat, verstehe ich nicht.

Die Kappen aus der Taklamakan - Wüste scheinen wohl doch nur aus reinem Filz zu bestehen, dessen wohl ältester Nachweis in Anatolien auf dem Çatalhöyük gefunden wurde und, mit 6000 v. Chr. zu Buche schlägt.
Ältere Nachweise fehlen bis dato, da die Erhaltungsbedingungen von organischen Materialien von vornherein nicht als optimal zu bezeichnen sind.
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Re: Ältester Nachweis für Loden?

Beitragvon ulfr » 28.06.2019 06:29

AxtimWalde hat geschrieben: Bz-Befunde aus dem hohen Norden nicht benannt


Meine Textiltante gehört zu NESAT und kennt die Funde von Borum Eshøj, aber die können anscheinend nicht 100%ig als Loden bezeichnet werden, deswegen schreibt sie wohl "spätestens seit der Eisenzeit". Sie bemerkt u.a.:

"Gewalkte Wolltextilien zeichnen sich durch eine starke Oberflächenverdichtung und - verfilzung aus. Ob diese Oberflächenstruktur durch Walken gezielt herbeigeführt wurde oder durch den Gebrauch, möglicherweise auch durch die Lagerung im Boden entstand, muss bei jedem Einzelstück separat entschieden werden. [...] Weitere gewalkte Textilien sind aus dem frühbronzezeitlichen Unterteutschenthal in Deutschland belegt (Schlabow 1959, 118-120)"

Grömer, K. 2010: Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa. NHM Wien. 198

Ich werde sie aber nochmals dezidiert dazu befragen.
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