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Beitragvon Stefan Deuble » 08.03.2008 16:39

Der Einwurf damals im FMA-Forum war bestimmt von mir. Mein gefährliches Halbwissen basiert auf - wenn ich mich korrekt an Autor und Titel erinnere, hab's grad nicht zur Hand - "Kurt Gröber: Die tierischen Leime". Die äqyptischen Leime werden dort auch erwähnt, es gibt sogar erhaltene Leimplatten. Aber Hautleim. Die Gewinnung des Kollagens / Glutins / whatsoeversticky aus Knochen war bis zur Einführung eines geeigneten chemischen Verfahrens in der Neuzeit nicht effektiv, Knochenleim als marktgängiges Produkt kam zeitgleich mit der Industrialisierung und verdrängte den im Holzhandwerk bis dahin üblichen Hautleim.
Sicher war es theoretisch davor auch möglich, Leim aus Knochen zu gewinnen, nur wurde es nicht praktiziert, weil abgezogene Felle für die Leimgewinnung besser funktionierten.

Knochen- und Hautleim sind sich allerdings recht ähnlich und die Unterscheidung wird den meisten Menschen unwichtig sein, von daher würde ich Publikationen dahingehend nicht auf die Goldwaage legen. Wenn ein Ausgräber anno irgendwann veröffentlicht hat, die Furnierstreifen der Schilde aus Dura Europos seien mit Knochenleim verleimt gewesen, dann würde ich das erst dann als Beleg für die Verwendung von Knochenleim annehemen, wenn das chemisch und im Vergleich mit Hautleim nachgewiesen wurde. Davor würde ich vermuten, dass der Begriff Knochenleim im Sprachgebrauch des Ausgräbers ersteinmal zur Unterscheidung zwischen pflanzlichen und tierischen Klebern benutzt wurde, evtl. noch zur Unterscheidung von Kaseinkleber und Leimen der Gruppe "Knochen- und Hautleim". Dass es neben Kn. noch andere verwandte Leime gibt, muss erstens nicht bewusst und zweitens nicht wichtig gewesen sein. Wir blenden in diesem Thread z.B. den Hausenleim / Fischleim im Moment auch aus.

Kommt mir so vor wie "Lederreste" an Schlidbeschlägen aus Moorfunden. Rohhaut? Leder? Nach 1600 Jahren in dünner Gerbsäure, wer will das unterscheiden? Ist es für den Ausgräber wichtig? Das wird doch erst für uns interessant, weil wir es gerne originalgetreu nachbauen möchten.
Oder Holzmaserungen bei Fundzeichnungen: für mich als Holzhandwerker echte Informationen, stehende, liegende Jahrringe, Hinweis auf gesägte oder gespaltene Rohlinge, auf die Kenntnis bestimmter Verbindungsregeln, etc. Da stehe ich bei einer Zeichnerin, und was tut sie? Sie gibt den Bettpfosten freihändig "Holzoptik" und fällt aus allen Wolken, als ich ihr sage, dass das für mich interessante Infos wären, die akribisch abgebildet sein sollten.

Deswegen heisst für mich die Erwähnung von "Knochenleim" in der Frühgeschichte erstmal nur, dass der Autor das Wort kannte. Punkt. Solange ich nichts Widersprüchliches dazu weiss, arbeite ich gerne mit dieser Information. Sobald aber Widersprüche auftauchen, gehe ich davon aus, dass alle nur mit Wasser kochen und ich mit meinem Nachbaubedürfnis nicht der primäre Adressat der Literatur bin. Ich halte Knochenleim für absolut möglich, darum geht es mir nicht. Nach meinem Kenntnisstand halte ich es aber für wahrscheinlicher, dass Hautleim immer wieder ungenau als Knochenleim publiziert wird obwohl regelmässig Hautleim angewendet wurde. Weil das Herstellungsverfahren für HL offenbar einfacher, vorindustriell sinnvoll und in geschichtlich fassbarer Zeit gängig war, während das Verfahren für KL entweder im Lauf des Mittelalters in Vergessenheit geraten sein müsste oder eben tatsächlich fühneuzeitlich entwickelt wurde. Die Vergessenheitsgeschichte wäre mir ohne weitere Hinweise zu spekulativ.

Das war mein Leim dazu,

Beste Grüße,

Stefan
Stefan Deuble
 

Beitragvon Hans T. » 08.03.2008 19:22

Recht gute Übersicht:
http://www.hessenpark.de/deutsch/detail ... f/Leim.pdf

Herstellungsmethode, hier ohne Chemie- und Säureneinsatz:
Andere Bezeichnungen für Leim: Gluten (lat.), Colle (franz.), Glue (engl.). Herstellung: Knochenleim wird aus vom Fett befreiten Knochen frisch im Schlachthof geschlachteter Tiere durch anhaltendes Kochen mit Wasser, optimalerweise unter Druck bei einer Wassertemperatur von über 110°C oder mit überhitztem Dampf, aus den Knochen extrahiert. Anschließend wird der Extrakt in Druckfiltrationsanlagen gefiltert und dann langsam unter Vakuum eingedampft. Beim Abkühlen geliert die Masse dann und kann zerkleinert werden. Zusammensetzung: Knochenleim ist ein Glutinleim.
(aus: Drogerie Nierle

Die genannte Litertur:
Josef M. Greber u. a. ? Die tierischen Leime (1950)
Geschichte, Herstellung, Untersuchung, Verwendung und eine Patentübersicht bis 1940, Reprint der
Ausgabe von 1950
(Erhältlich bei Kremer-Pigmente für 29 Euro )

Jetzt sind wir der Sache schon näher.... :D

Ich fass es mal so zusammen: Knochenleim erfordert eine etwas ausgefeiltere Technik. Eine prähistorische Herstellung mit Chemie-Unterstützung scheidet aus. Die technischen Anforderungen an die Leimgewinnung ohne Chemie sind offensichtlich auch etwas höher ( über 110°) als bei Hautleimen. Die Frage wäre jetzt nur im Experiment zu klären, was es an Alternativen gäbe, um mit VG-Technik akzeptable Ergebnisse an Glutin-Ausbeute zu erreichen. Möglicherweise wars dem VG-Menschen auch egal und er hat keinen grossen Unterschied gemacht: Alles was Glutin auskochbar enthielt, rein in die Brühe und fertig.

Möglicherweise stolpern wir über moderne Definitionen und moderne effiziente Gewinnungsverfahren.

H.
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Beitragvon Chris » 08.03.2008 19:37

Hautleim lässt sich mit einem kleinen Feuerchen im Tontopf zubereiten...

selbst ausprobiert :D
Me transmitte sursum, Caledoni!
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Beitragvon ulfr » 08.03.2008 19:38

Stefan Deuble hat geschrieben: freihändig "Holzoptik"


AAAAAAAHHRGGG! Ich kenne das so gut... Um Einiges besser sind die Dänen, dort sind wenigstens manchmal Orientierung und Jahrringverlauf angegeben. Offensichtlich interessiert das wirklich nur uns, Du hast Recht, dem Ausgräber kann das in gewisser Weise egal sein, aber spätestens dem wiss. Bearbeiter müsste doch sowas wichtig sein... :wallb:

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Beitragvon Dain II. » 09.03.2008 02:20

Ich hab irgendwann im Herbst bei einem Rest dünner Rohaut ausprobiert ob die mit Leinöl durchsichtig wird (wurde sie auch) und hab sie in einen kleinen Blumentopf ausm Baumarkt gelegt und Leinöl drübergegossen. Dann hab ichs stehen lassen. Und vor ein paar Wochen hab ich beim aufräumen meines "Schreib"tisches das Zeug wiedergefunden und irgendwie hat es sich in einen Klumpen Hautleim verwandelt. Vielleicht nur Zufall aber vielleicht hat man ja auch so früher Hautleime hergestellt?

Kann man eigentlich Gräten auch zu Leim verarbeiten, schon wer ausprobiert? Ansonsten wird wohl alles was grad an Haut/Fellresten da war zu Leim verarbeitet worden sein. Interessant fände ich ja in welchem Verhältnis Glutin- und Kaseinleim hergestellt/verwendet worden sind. Immerhin besteht der Kaseinleim ja zum Großteil aus Nahrungsmittel.

lg Stephan
Dain II.
 

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