neolithische Scheibenkeulen

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neolithische Scheibenkeulen

Beitragvon Blattspitze » 16.09.2008 18:54

Hier ein Artikel zu bandkeramischen Scheibenkeulen:

http://www.urgeschichte.de/artikel/keulen/keule1.htm

In Neu Guinea sind gleichartige Artefakte noch vor einigen Jahrzehnten als "Meinungsverstärker" benutzt worden.

Interessant sind wie auch bei vielen Streitäxten teilweise Stücke mit sehr kleinen Bohrlöchern, hier kann bei zunächst anzunehmender praktischer Nutzung eigentlich nur eine Rohautschnürung verwendet worden sein?

Am aufwendigsten sind meines Wissens die mittelneolithischen Scheibenkeulen der Trichterbecherkultur gefertigt. Diese werden bis in die jüngste Zeit manchmal als "Räder" und "Schwungscheiben" interpretiert.

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Beitragvon Thomas Trauner » 17.09.2008 08:58

Nur zur Ergänzung:
Diese Scheibenkeulen gehen bis in das kupferzeitliche Neolithikum, es liegen auch Exemplare der sogenannten "Altheimer Kultur" (Süddeutschland) vor.

Thomas
PS: Wir haben einige dieser Keulen aus Neuguinea im völkerkundlichen Teil unseres Museum. Lt. mündlicher Auskunft unseres Kurators sind dies allerdings nicht genau datierbare Altfunde, die von der (sub)rezenten Bevölkerung "nur" wiederverwendet wurden. Die eigentliche Datierung schätzte er wesentlich älter.
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Beitragvon ulfr » 30.09.2008 10:35

Ich hab vor einiger Zeit solch eine Keule nachgebaut. Wenn Du mit Rohhautschnürung meinst, dass der Stiel oben durch eine Rohhautwicklung gegen Herausfallen gesichert wurde, dann hab eich genau das getan, nur hab ich Sehne benutzt.

ULFR

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Beitragvon Thomas Trauner » 30.09.2008 11:27

Sehr schönes Stück, ulfr.

Nach meinem sehr übersichtlichen Kenntnisstand zu diesem Thema scheinen die Bohrungen konisch zu sein, wie eben auch bei den Frühneolithischen "Schuleistenkeilen" etc.
Die Scheibe wird also m.E. von unten auf den ebenfalls konischen Holm aufgeschoben. Ich dachte eigentlich immer, dass sich aufgrund der Fliehkraft die Keulenköpfe quasi selbst verfestigen.
Vielleicht eine Bindung unten, damit der Kopf nicht nach unten rutscht...

An den (sub)rezenten Exemplaren auf Neuguinea etc. finden sich einige Bindungen, die dienen allerdings wohl eher der Verzierung und nicht unbedingt der Befestigung des Kopfes.

Thomas
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Beitragvon Blattspitze » 30.09.2008 13:18

Wow Ulfr, sehr elegantes und schönes Stück! Sieht nach Diabas aus? Ich hatte schon immer ein Faible für diese Stücke. Ich habe mal eine einfachere und schwerere Version (mit konvexen Oberflächen) nach einem Original gemacht. Die von Dir ausgeführte häufigere aber schwierigere Form mit konkaven Oberflächen ist viel schöner. Was glaubst Du, bis zu welcher Materialdicke lässt sich so eine Scheibe noch mit Flint picken?
Wie lang ist der Schaft?

Die von mir gemeinten ägyptischen gibt?s mit zum Teil sehr kleinen Löchern (bis 7-8mm) und sehr selten erhaltenen nur ca. 50cm langen Stielen aus Horn (!?). Bei so kleinen Löchern glaube ich nicht mehr an direkt-Schäftungen des Stieles, sondern an ?bewegliche? Montage mit Rohhaut.

Hier Beispiele ägyptischer Stücke, schnell im "Internetz" gegoogelt:
http://www.touregypt.net/featurestories/mace.htm

http://nefertiti.iwebland.com/weapons/i ... eapons.htm

Thomas, ich glaube die mittelneol. Exemplare der Trichterbecherkultur gibt?s mit verschiedenen Löchern. Zylindrische, konische und noch leicht doppelkonische Löcher, die nachträglich in Achse des zukünftigen Stiels fast zylindrisch zugeschliffen wurden.
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Beitragvon Thomas Trauner » 30.09.2008 14:12

Danke, Marquardt,

ich sage ja, mein Wissensstand ist hier übersichtlich....

Thomas
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Beitragvon ulfr » 30.09.2008 14:59

Marquardt, es könnte ein Diabas sein, es war einer von diesen "nimm-mich-mit-und-mach-was-aus-mir-Zufallsfunde am Strand, blauschwarz, sehr feinkörnig und unkaputtbar.
Für den Winter habe ich mir eine weitere vorgenommen, aus dem Gestein, aus dem sie häufig angefertigt wurden, einem blauschwarzen Diabas mit charakteristischen sehr dekorativen weißen (recht)eckigen Einschlüssen (das Auge tötet schließlich mit) :shock:

Bild
Aufnahme aus dem Dänischen Nationalmuseum Kopenhagen.

Ich habe vor Jahren beim Durchsehen von ca. 3 Mio. Strandsteinen an der Nordküste Fünens das Glück gehabt, zwei passende zu finden.... :D

Ich glaube, wenn man einen ungestörten Rohling findet, kann man es mit dem Dünnpicken sehr weit treiben, ich schätze mal bis auf unter 10 mm?. Die oben gezeigte Keule ist in der Blattmitte (also halber Radius) noch etwa 10 mm dick. Wichtig ist - wie immer beim Picken, zum Schluss nicht senkrecht auf das Werkstück zu schlagen, sondern etwa im 45°-Winkel dazu von sich weg und nicht zu kräftig. Ist eine reine Zeit- und Geduldfrage.

Der Stiel ist aus Eibe und 60 cm lang.

@T.T: Da die Scheibe in der Mitte sehr dünn ist, nur etwa 16 mm, zieht sie sich beim Aufstecken (das normalerweise schon, wie Du richtig schreibst, von oben her geschieht) nicht wirklich fest. Ich hab das zwar hier nicht ausprobiert - Beile schäfte ich grundsätzlich so, indem ich den Stiel von oben einstecke - aber ich habe es vorgezogen, die Scheibe von oben auf den nach unten etwas dicker werdenden Stiel aufzustecken und dann oben durch eine Sehnenwicklung zu sichern. Keile nützen hier gar nichts. Allerdings wird die Scheibe auch nicht so oft beansprucht wie beispielsweise ein Beil, man befindet sich ja nicht jeden neolithischen Tag im Kriegszustand und muss anderen Leuten mit diesen Rundum-Schneiden den Schädel einhauen...

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Beitragvon Blattspitze » 30.09.2008 15:29

"Das Auge tötet schließlich mit" Welch wunderbarer Satz, Ulfr!
Gilt wohl für Kriegswaffen ab dem Neolithikum (Lass uns gemeinsam knietief im Zynismus waten) aber heutzutage in militärischen Belangen nicht mehr ("knöppsche drügge un` vergesse").

Ich frage mich, ob die dünne und vermeintlich stets einen scharfen Schlag ergebende umlaufende "Schneide" auch beschädigungstechnisch einen Vorteil haben könnte. Bevor der Stein im Loch bricht (und damit völlig unbrauchbar wird) bricht zuvor ein Stück aus dem Rand und das Loch und damit die Keule bleibt intakt?

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Beitragvon ulfr » 01.10.2008 06:49

Blattspitze hat geschrieben:"Das Auge tötet schließlich mit" Welch wunderbarer Satz, Ulfr!


Der ist nicht auf meinem Mist gewachsen, ein Kollege äußerte ihn mal angesichts eines Mammen-tauschierten-Wikingerbeils....

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Beitragvon Steve Lenz » 01.10.2008 07:27

Und ich werde als Martialist verschrien! :uk:

Schickes Ding, ulfr.

Deine Frage nach dem Haltbarkeitskonzept, Marquardt: Zum einen sicherlich ein Punkt. Zum anderen erlaubt es eine sehr schnelle Folge von Schlägen aus schnell wechselnden Richtungen ohne Positionswechsel der Waffe.
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Beitragvon Blattspitze » 02.10.2008 22:03

Bild

Hier mein Exemplar, dass ich möglichst genau in den Dimensionen eines Originals gemacht habe. Ulfr, Deine ist echt schöner!

Bild

Hier zwei Fundstücke eines "rezenten Wildbeuters" (Sammler), die eine mögliche Durchlochungsvariante zeigen.

Steve, macht der von Dir beschriebene Vorteil die Scheibenkeule zu einer Deiner Meinung nach überlegeneren Nahkampfwaffe gegenüber z.B. einer Streitaxt?
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Beitragvon Steve Lenz » 02.10.2008 22:34

Sind beide schön! :D

Man kann mit einer Scheibenkeule schneller arbeiten als mit einer Axt, welche eine, höchstens zwei Schneiden hat. Man muss die Waffen nicht nach jedem Schlag neu ausrichten oder drehen - sie funktioniert in alle Richtungen aus jeder Richtung.

Das Gewicht verteilt sich gleichmäßig um den Schaft herum und nicht asymetrisch davor und/ oder dahinter.

http://www.youtube.com/watch?v=0G5ZGDzD ... re=related

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Beitragvon Trebron » 03.10.2008 09:50

Steve, dann braucht er nicht so oft zuschlagen :rhino:

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Uff pälzisch: wä blos zurigg guggt, sieht net was uff`ne zukummd
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Beitragvon ulfr » 03.10.2008 10:00

Steve L. hat geschrieben: schneller arbeiten


:D :D :shock:

Vom Steinmaterial her finde ich Deine schöner, Blattspitze!

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Beitragvon Steve Lenz » 03.10.2008 10:41

Ulfr, kann ja auf dem Flintwerker-Rendezvous 2009 zeigen, was ich meine. :twisted: (An einem Dummy!!!)
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