Moderatoren: Nils B., Turms Kreutzfeldt, Hans T., Chris
Hallo liebe Schleuderfans,
nachdem es auf dieser Seite in den letzten Monaten wieder etwas ruhiger ums Schleudern geworden ist, habe ich ein altes Vorhaben in die Tat umgesetzt und einen Bericht über die Schleuderpraxis im Iran während der 1970er Jahre übersetzt. Die Übersetzung stelle ich hier sozusagen an Stelle von Keksen und Nüssen zum Nikolaus ein. Es handelt sich um einen Bericht, der ohne nähere Quellenangabe mal vor längerem bei Slinging.org verlinkt war und lediglich in einer leider schlechten Kopie eines Buchbeitrags bestand. Teile des Inhalts sind seinerzeit auf Slinging.org diskutiert worden, jedoch nach meiner Erinnerung nicht sehr tiefschürfend.
Zur Quelle konnte ich mangels näherer Angaben nur soviel erschließen: Der Titel lautet "Proca - kilka uwag o konstrukcji i zasadach dzialania" (Die Schleuder - einige Anmerkungen zu Konstruktion und Grundlagen des Gebrauchs). Der Autor heißt Michal Gradowski und ist Mitglied der Warschauer Sektion des polnischen Hochgebirgsverbandes. Sein Artikel, der die Geschichte und Technik des Schleuderns behandelt, ist offensichtlich in einem polnischen Jahrbuch für Archäologie, Geschichte und/oder Völkerkunde erschienen, irgendwann zwischen 1973 und 2007; nach der Textgestaltung würde ich auf die 1990er schließen. Der ursprüngliche Link ist leider nicht mehr zugänglich.
Die inhaltlichen Ausführungen des Beitrags zu Geschichte und Technik der Schleuder sind wenig spezifisch, unter Schleuderern allgemein bekannt und daher m. E. für uns nicht von Interesse. Seine Schilderung einer Begegnung mit einem aktiven Schleuderer in den Bergen des südlichen Iran ist aber sehr aufschlussreich. Ich habe mich daher auf diese Schilderungen beschränkt, von denen wegen der unsorgfältig gemachten Kopie leider einige Zeilen fehlen. Trotzdem viel Freude bei der Lektüre:
"… Der Zweite Kontakt mit dieser altertümlichen Waffe – dieses Mal nicht als Spielzeug, sondern wirkliche Waffe – fand in den Bergen des südlichen Iran statt (Region Kerman) , genauer im Tal Abschar Langor zwei Tagereisen südlich des Dorfes Kanudj am Fuße der Bergwand Se Schach im Bergmassiv Djupar – denn dort hatte die Warschauer Sektion des Polnischen Hochgebirgsvereins 1972 ihr Basislager aufgeschlagen. Auf dem Grat der oberen Talebene hütete der junge Berghirte Mahmud Kandy seine Herde. Er wohnte in einer kleinen, angenehm ausgestatteten Grotte nahe einer Quelle. Täglich stattete er den polnischen alpnisten im ihrem Lager einen Besuch ab, angetan mit ziemlich abgenutzten Hosen und einer Bluse aus Fabrikwolle, einer großen Filzmütze und Stiefeln, die mit Schnüren an einer dicken Ledersohle verbunden waren. Auch hatte er stets sein unvermeidliche Ausrüstung bei sich, einen Beutel mit Zunder und Feuerstahl, ein großes schmiedeeisernes Klappmesser, einen Schlauch aus Ziegenhaut, der die kühle Quelltemperatur des Wassers bis in die Mittagshitze bewahrte und schließlich eine um den Gürtel gebundene Schleuder. Sie war aus zwei Schnüren von etwa 110 cm gefertigt, die an einem kleinen Brief aus gewebten Schnüren befestigt waren. …
Die Schleuder galt als veraltete Waffe, da sie nicht nur in den Dörfern der Ebene außer Gebrauch gekommen war, sondern auch die Bergbewohner bedienten sich schon der üblichen Feuerwaffen (üblicherweise veraltete und ziemlich ausgeschossene Militärkarabiner). Weil ich mich mit der Schleuder auskannte und Interesse an der primitiven (und daher etwas verschämt verdeckt getragenen) Waffe, erkannte Mahmud in mir eine verwandte Seele, zeigte gerne seine Fertigkeit im Schleudern und veranstaltete Wettschießen, bei denen er sehr zu seiner Freude stets unangefochten obsiegte. …"
[Hier folgt eine kurze Darstellung der üblichen Schleudertechniken. (JM)]
"Vor diesem Hintergrund erschien es erstaunlich, dass Mahmud Kandy auf 20 Schritte Entfernung eine hochgeworfene Kaffeedose traf. Aus der Beobachtung der Wirkung einer Reihe seiner Schüsse auf nicht bewegte Ziele schließe ich, dass jeder zweite oder dritte Schuss auf 100 m die Silhouette eines aufrecht stehenden Menschen treffen kann. Die von ihm auf Entfernung geschossenen Steine flogen etwa 200 m weit. Mahmud führte seine zirkulierende Schleuder auf einer schrägen Ebene, die sich eher der Horizontalen näherte. Er wählte also die für den Schuss optimale, für das Zielen aber schwierigste Ebene. Er machte meistens zwei bis drei Umdrehungen mit der Schleuder und führte die letzte Drehung in einer beinahe senkrechten Ebene aus. Ich beobachtete auch, dass er die Abfolge der Drehungsebenen in Abhängigkeit von Lage und Entfernung des Ziels und etwaigen Geländehindernissen (Steine, Büsche) abwandelte, die die Schleuder berührten könnten. …"
[Hier folgt eine kurze Zusammenfassung der Vorteile der Schleuder als Jagdwaffe. (JM)]
"Bestätigung dieser Tatsachen waren die Schädel von Bergziegen, die sich in stattlicher Anzahl vor Mahmuds Grotte befanden. Diese scheuen Tiere stellen heute eine wertvolle Beute für den mit einer modernen Feuerwaffe ausgestatteten Jäger dar. Denn es ist schwierig sie aufzuspüren und zu erlegen, da ein daneben gegangener Schuss die gesamte Herde in eine wilde Flucht treibt. Zudem führen einige – insbesondere gelungene - Schüsse mit einer modernen Feuerwaffe dazu, dass die Tiere sich in entferntere, ruhigere Regionen zurückziehen, was für einen in seinem Tal sesshaften Hirten das Ende der Jagd bedeutet. Mahmud [benutzte daher die Schleuder anstelle der heute üblichen Bewaffnung (JM)]. Selbst der Tod einer durch einen Stein erlegten Ziege verursacht keine Panik in der Herde und führt nicht zur Abwanderung in andere Gebiete. …"
[Der Autor schließt Überlegungen an, in denen er davon ausgeht, dass das Verschwinden der Schleuder trotz ihrer Vorteile als Jagdwaffe vermutlich darauf zurückzuführen sei, dass sie viel mehr Übung als ein Gewehr erfordert.(JM)]
"Es bleibt noch hinzuzufügen, dass Mahmud Kandy der Sohn eines der reichsten lokalen Hirten war und ihm daher der Kauf der üblichen Flinte oder eines Karabiners zugestanden hätte, wie ich sie selbst in den Händen deutlich ärmerer Hirten gesehen hatte. Ganz offensichtlich benutzte er die Schleuder aus Vorliebe, nicht aus Mangel an Alternativen."
Jaegoor hat geschrieben:die leder schleuder ist ok. Ich fürchte nur sie wird sich dehnen, bis sie irgendwann reißt. aufpassen muss man auch wie stark der Brief sich ausbeult. irgendwann wird sich der stein nicht mehr richtig lösen.
Zurück zu Sonderwaffen & Belagerungsgerät
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste