Warum, warum gab's das Präkeramikum?

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Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon MartinH » 05.04.2022 12:19

Mich beschäftigt schon länger eine Frage und ich habe in meiner bisherigen (zugegeben überschaubaren) Lektüre bisher keine Ansatz für eine Antwort darauf gefunden:

Warum haben die Menschen erst so spät damit angefangen, regelmäßig Gefäße aus Keramik herzustellen?

OK, für nomadische Jäger und Sammler könnten schwere Gefäße zu lästig zum Herumschleppen gewesen sein, vielleicht hatten sie da praktikablere Alternativen. Aber das präkeramische Neolithikum erstreckt sich über dreitausend Jahre, in denen die Leute unter anderem Behälter aus Stein gebaut / geschlagen und sogar aus unangenehm zu verarbeitendem Löschkalk eher suboptimale Gefäße geformt haben.

Dabei kann das Prinzip nicht unbekannt gewesen sein, denn die Venus von Dolní Věstonice ist mindestens doppelt so alt wie das Neolithikum und wurde bereits mit einschlägigem Fachwissen getöpfert. Und im fernen Osten sind ja anscheinend schon deutlich vor der Seßhaftwerdung gelegentlich Keramikgefäße hergestellt worden.

Kennt ihr einen plausiblen Erklärungsansatz dafür?
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Pitassa » 05.04.2022 20:36

Hi Martin,

ich habe vermutlich noch deutlich weniger Ahnung vom Neolithikum als Du, interessiere mich aber ebenfalls für derartige Fragestellungen, vor allem was die Übergangszeit zum Chalcolithikum betrifft.

Ich vermute zunächst einmal, dass die Menschen vieles direkt an Ort und Stelle verzehrten, mit bloßen Händen, wobei sie sich möglicherweise auch der Schalen großer Früchte bedienten.
Dann aber gab es zudem die teils flaschenförmigen, teils kellenförmigen Kalebassen. In Mitteleuropa wurde die vermutlich aus Afrika stammende Kalebasse offenbar bereits vor 7.000 vor Christi eingeführt. Man verwendete diesen Flaschenkürbis (Lagenaria siceraria) zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, sowie Trinkflüssigkeiten und Ölen. Die Kalebasse gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Eine verwandte des Flaschenkürbis von der Art der Wassermelonen, die Lagenaria breviflora, diente in Nubien und Ägypten zudem vermutlich schon sehr früh als Verhütungsmittel.

Es konnten auch in Mitteleuropa an neolithischen Fundorten offenbar Ablagerungen entsprechender Samen der Kalebasse nachgewiesen und auch datiert werden. Weißt du, oder sonst jemand etwas dazu ?

Das eben gesagte ist mir dazu eingefallen, vielleicht bietet es einen Erklärungsansatz zu deiner Frage.

Gruß Pitassa :hallo:
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Blattspitze » 06.04.2022 06:42

Interessante Frage.
Was ist der unverzichtbare Vorteil von Keramik gegenüber wesentlich stabileren Kalebassen, Körben (wasserdichte sind möglich), Beuteln aus Rinde oder Leder, Kisten aus Holz/Rinde, Trinkhörnern, -Schneckenhäusern? Die Kochfunktion?
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon MartinH » 07.04.2022 07:42

Es gibt viele, lokal unterschiedliche Möglichkeiten, wie man ohne Keramik Gefäße herstellen kann. Kürbisse, Bambusrohre, bestimmte Kakteen ... und wenn davon nichts zu haben ist, kann man immer noch Tierinnereien als Gefäße nutzen und mit heißen Steinen in einer Ledertasche kochen. All das mag praktischer gewesen sein, solange die Leute ständig auf Achse waren und bestimmt leichtes Gepäck bevorzugt haben.

Aber die Menschen im Präkeramikum waren sesshaft, wohnten in festen Häusern, betrieben Ackerbau und Viehzucht und hatten eigens errichtete, mit unterlüfteten Böden ausgestattete Vorratsgebäude. Sie haben Bottiche aus Stein gehauen, fest installierte Vorratsgefäße aus Steinplatten gebaut und später auch Gefäße getöpfert - aber nicht aus Lehm/Ton, sondern mürbe "white ware" aus Löschkalk und Asche. Sie hatten offenbar den Bedarf an Gefäßen, haben ihn aber nicht mit Keramik befriedigt.

Und ich frage mich halt: Kann es wirklich sein, dass das zuvor seit Jahrzehntausenden vorhandene Wissen um die Herstellung von Keramik zu dem Zeitpunkt vergessen war - und im Laufe von über 100 Generationen auch nicht wiederentdeckt wurde? Obwohl diese Leute ständig Feuer um sich hatten und man fast zwangsläufig versehentlich die Beobachtung machen muss, dass Lehm im Feuer "versteinert" (z.B. bei der Zubereitung von Essen im Lehmmantel)?

Irgendwo entgeht mir da was, aber ich komm nicht drauf ...
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Monolith » 09.04.2022 11:16

Sehr spannende Diskussion, die Du hier angestoßen hast. Danke dafür! Ist der für Gefäße benötigte Ton ist den Regionen des Präkarikums umfangreich verfügbar und einfach abzubauen? Gab es vielleicht Tabus? (Okay, das können wir niemals beantworten). Was sagen denn die einschlägigen Überblickswerke dazu? Ich hab mich hierzu nicht zu genüge eingelesen, denke aber, dass es doch sicherlich viele Überlegungen gibt.
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Blattspitze » 11.04.2022 07:38

Martin, könntest Du das hier in Rede stehende "Präkeramikum" bitte einmal geographisch genauer verorten?
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon MartinH » 11.04.2022 08:10

@Blattspitze: Zitat Wikipedia:

Als Präkeramisches Neolithikum bezeichnet man die frühe Jungsteinzeit in verschiedenen Regionen der Welt, in der Ackerbau und Viehzucht betrieben, aber keine Tongefäße hergestellt wurden. Figurinen und andere Gegenstände aus gebranntem Ton können jedoch durchaus bekannt sein.[1] Solche Epochen gab es unter anderem im Vorderen Orient und in der östlichen Ägäis.


https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4k ... eolithikum

Bekannte Fundorte wären Jericho, Göbekli Tepe und Çatalhöyük. Ich lese gerade zu dem Thema (Klaus Schmidt: "Sie bauten die ersten Tempel", Herrmann Parzinger: "Die Kinder des Prometheus"), deshalb musste ich mal wieder an diese Fragestellung denken.

Aber ähnliche Phasen gab es anscheinend auch z.B. in Indien und Südamerika, aber zu anderen Zeitpunkten.


@Monolith: Ich bin kein Kenner der Fachliteratur, nur interessierter Laie. Abgesehen von den oben genannten Werken habe ich noch nicht viel dazu gelesen, aber darin wird nirgends auf das Thema eingegangen. Aber einschlägige Empfehlungen würden mich sehr interessieren.

Dieses Video auf YouTube hätte ich noch anzubieten, das das Phänomen aber auch nur beschreibt.

An so etwas wie ein Tabu hatte ich auch schon gedacht ... aber das müsste ein zeitlich und räumlich sehr stabiles Tabu gewesen sein. Nicht unmöglich, aber es scheint mir angesichts der offensichtlichen Nützlichkeit von Keramik etwas unwahrscheinlich zu sein
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Monolith » 11.04.2022 12:30

Ich hatte bei der Fragestellung bisher nur Vorderasien konkret im Blick, da sich von hier aus ja schließlich später auch die keramischen Neolithiker auf den Weg nach Europa gemacht haben. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, alle präkeramischen Phasen weltweit zusammenfassend zu erklären. Da gibt es sicherlich vielerlei Gründe und Hintergründe. Klaus Schmidt's Buch ist übrigens ganz "griffg", aber auch stellenweise etwas reißerisch, da es für Laien geschrieben wurde. Hermann Parzinger ist wiederum ein Mann, der Wissen aus allen Zeiten und Epochen hat, aber er ist in diesem Sinne vielleicht nicht unbedingt ein Fachmann für das Präkeramikum. Hier wäre es vielleicht mal ganz spannend, sich Kathleen M. Kenyon selbst auseinanderzusetzen.
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon LS » 19.04.2022 19:11

Die Töpferware ist in China und Japan wahrscheinlich zweimal unabhängig voneinander erfunden worden. Die allmähliche Diffusion nach Westen über das nördliche Eurasien und bei nomadisch lebenden (!) Völkern zeigt doch m. E. ganz gut, dass es auch ein Know-how für die Herstellung braucht und nicht nur eine Formvorstellung.

Ich würde das mal ähnlich sehen wie die Fähigkeit zur Glasherstellung und das doch erhebliche Know-how bei Flachglas für Fenster. Auch hier gab es eine Jahrhunderte lange Lücke nach den Römern, obwohl es wohl zweifelsfrei erwiesen ist, dass Flachglas für Fenster was ziemlich Praktisches ist.

Das wäre mal mein Senf, ohne besonders in Einzelbeispiele zu gehen...
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Pitassa » 19.04.2022 21:09

Wie muss man diesbezüglich die Keramik der Cucuteni-Trypillia-Kultur (ca. 5800 - 2750 v. Chr.) einordnen ? :mammut1:
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Monolith » 19.04.2022 23:18

Die Cucuteni-Trypillia-Kultur spielt bei der "Erfindung" der Keramik keine Rolle, sondern gehört zu den kupferzeitlichen Kulturen Osteuropas, wo rundherum bereits Keramik bekannt ist. Der Zeitrahmen dieser Kulturerscheinung ist auch deutlich enger, nämlich mit einem Beginn von Precucuteni um 5000 v. Chr. und einen Ende von Trypillia C2 um 3000 v. Chr.
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Monolith » 19.04.2022 23:28

Ich möchte noch einmal auf die Notwendigkeit von Keramikgefäßen zur Nahrungsbereitung zurückkommen. Es stellt sich mir nämlich die Frage, ob Keramikgefäße dafür überhaupt notwendig sind. Zum Erhitzen von Wasser reichen, wie beschrieben, Ledergefäße. Wenn keine Suppe gekocht werden soll, braucht es eigentlich keine anderen Gefäße. Die Steingefäße PPN könnten zur Herstellung von Nahrungsbreis genutzt worden sein. Also, ohne langes Kochen flüssiger Speisen, sind Keramikgefäße gar nicht notwendig, oder? Wie ich allerdings kürzlich lesen konnte, sollen auch Holzgefäße dazu geeignet sein, in ihnen zu kochen, indem an den Gefäßen eine schwer brennbare Rußkruste entstehen soll (Kehnscherper, Hünengrab und Bannkreis 1983, 75). Kehnscherper schreibt, dass dies durch Experimente ermittelt wurde, ohne jedoch auf diese zu verweisen. Hat davon schon einmal jemand etwas gehört? Das wäre doch auch mal eine experimentelle Reihe wert, oder?
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon ulfr » 22.04.2022 09:26

Kehnscherper steht bei mir schon seit Jahrzehnten im Giftschrank. Von den Experimenten hab ich noch nichts gehört und kann es mir auch nicht vorstellen. So dick kann eine Rußschicht doch gar nicht werden, dass das Holz darunter nicht verbrennt.
Dann glaube ich schon eher an Reichholfs Theorie vom Bierbrauen, denn das geht schlecht ohne Keramik, oder?
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon Monolith » 23.04.2022 14:29

Das steht der Kehnscherper vermutlich richtig. Ich hab das Buch jetzt durch und da werden noch so einige Behauptungen aufgestellt. Du kennst ja die Abbildung mit der Methode zum Nachschliff von Beilklingen. Ich kann es mir, was das Erhitzen von Flüssigkeiten in Holzgefäßen angeht, auch nicht vorstellen, würde es aber gerne trotzdem mal ausprobieren. Das sollten wir tun, wenn wir abends im AZH unser Gegrilltes verspeisen. Brauchen wir nur noch ne Holzschüssel.
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Re: Warum, warum gab's das Präkeramikum?

Beitragvon ulfr » 24.04.2022 08:30

Ich werde versuchen, bis dahin eine zu machen - lange kein Potlatch mehr veranstaltet :twisted:
Die Holzart dürfte egal sein, oder?
Die Beilnachschleifanlage war mir völlig aus dem Sinn gekommen, danke! Wie man auf eine solche Idee kommen kann, ist mir völlig rätselhaft ...
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