Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

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Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

Beitragvon ulfr » 24.03.2019 11:29

Gestern abend kam eine Doku zum Thema "Gewalt und Kannibalismus - Tatorte in der Ungsteinzeit" auf arte.
Ich fand sie relativ gut gemacht, die Ausstattung war einigermaßen bis auf die Steinbeile - wer anno domini 2019 immer noch mit Sisalschnur umwickelte Tomahawks zeigt, hat wohl lange geschlafen. Dabei wurde auch im Film ein Baum - ganz korrekt - mit einem Dechsel gefällt.

Etwas einseitig oder kurzsichtig erschien mir auch die Interpretation des "Massakers" von Halberstadt. O-Ton Doku:

„Geradezu routiniert haben die Bewohner den Angriff auf Ihr Dorf abgewehrt - haben in Zeiten des Niedergangs ihre Gemeinschaft und ihr Eigentum verteidigt.“

Hört sich in unseren Zeiten ein bisschen nach "marodierende Messermänner bedrohen unsere Kultur" an, oder?

War das so? Würde mich interessieren, ob der Originalbefund das hergibt ...

Könnten nicht auch die Dorfbewohner mit friedlichen Besuchern kurzen Prozess gemacht haben? Vielleicht waren die fremden Jungs "Missionare", eine Händlergruppe oder "fahrende Studenten", die von den Dorfbewohnern - versehentlich oder absichtlich - hingemetzelt wurden?

Spielszenen zur (Ur)geschichte sagen meistens mehr über An- und Absichten ihrer Urheber aus als die (prä)historische Realität selbst.
"Wenn Sie stolz sein wollen auf Ihr Volk, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers".
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Re: Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

Beitragvon Sculpteur » 26.03.2019 08:41

Das ist doch das beinahe generelle Problem, dass sich in Dokus beobachten lässt. Es scheint sich dabei auch um eine ganz bestimmte Art zu handeln, wie ein Drehbuch für eine Doku geschrieben wird.

Es wird im "1ten Akt" im Zusammenhang mit dem Hauptthema selten mehr als eine interessante These aufgestellt, die aus einer breiten Menge von Möglichkeiten herausgegriffen wurde.

Daraufhin werden die Zusammenhänge "im 2ten Akt" auf die These ausgerichtet dargestellt oder manchmal auch zusammengewürfelt, bis sie zur These passen.

Im "3ten Akt" wird dann alles so dargestellt und formuliert, als hätte es nie eine andere Möglichkeit gegeben. Diese wird im Schlussteil einer solchen Doku dann als in fetten Majuskeln in Stein gemeisselte Erkenntnis die Doku beenden. Die Doku hat damit ihr eigentlich oftmals reisserisches und auf Schlagzeilen angewiesenes Ziel erreicht.

Ich fand die Doku insgesamt auch sehr gut gemacht, aber mich stören auch "neumodische Elemente" in einem weit zurückliegenden historischen Zusammenhang.

Zeitweise hatte ich Bedenken, dass die Darsteller sich in ihrer - meines Erachtens - überstilisierten Opferungszeremonie zu sehr in ihre Rolle hineinsteigern, so dass im theatralen Prozess echtes Blut fließen könnte. ;)

Ich habe großen Respekt vor der Leistung, die notwendig ist, um eine aufwändige Doku zu realisieren, die auch 45 Minuten trägt.

Dennoch ist es tragisch, wenn Themen zu einseitig dargestellt werden.

Grüße,
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Re: Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

Beitragvon Blattspitze » 26.03.2019 21:59

ulfr hat geschrieben:O-Ton Doku:
„Geradezu routiniert haben die Bewohner den Angriff auf Ihr Dorf abgewehrt - haben in Zeiten des Niedergangs ihre Gemeinschaft und ihr Eigentum verteidigt.“
Hört sich in unseren Zeiten ein bisschen nach "marodierende Messermänner bedrohen unsere Kultur" an, oder?
War das so? Würde mich interessieren, ob der Originalbefund das hergibt ...


"Hier wurde offenbar keine lokale Dorfbevölkerung überraschend überfallen und in einer Grube verscharrt. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass hier eine Gruppe von gefangenen Personen fremder Herkunft kontrolliert getötet wurde. Möglicherweise bildet das Massengrab von Halberstadt somit geradezu einen Gegenpol zu den anderen Fundorten kollektiver Gewalt. Vorstellbar ist, dass die Toten selbst Aggressoren waren, die zwar einen Überfall planten, damit aber scheiterten. Die Herkunft aus einiger Entfernung und das Überwiegen junger Männer würden zu einem derartigen Szenario passen. Möglich ist jedoch auch, dass es sich um Gefangene handelte, die von einem anderen Ort mitgebracht wurden. Eine solche Interpretation erscheint jedoch weniger wahrscheinlich, da bisher keine Anzeichen dafür vorliegen, dass in dieser Zeit männliche Personen bei Massakern verschont und gefangen genommen wurden."
https://www.archaeologie-online.de/nach ... walt-3960/
https://www.nature.com/articles/s41467-018-04773-w

Ich glaube, Du siehst (identitäre) Gespenster ...
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Re: Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

Beitragvon ulfr » 27.03.2019 09:54

" ... offenbar ... deutet alles darauf hin ... Möglicherweise ... Vorstellbar ist ... würden passen ... Möglich ist jedoch auch ... erscheint ... "


Seehr viel Konjunktiv ...
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Re: Doku: "Gewalt und Kannibalismus" auf arte

Beitragvon TZH » 30.03.2019 13:19

Ich fand es gut. Der Keltenfilm danach auch.
Das Grundkonzept war zBp. viel besser, als im Doku über Eulau. Da hat man sich 42 minuten lang mit den Glockenbechern befasst und am Ende stellte sich heraus, dass die Mörder die, szs. Nachbarn waren, angeführt von Harm Paulsen.
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