Von einer hier ungenannten, äußerst kompetenten Person, die Ötzi`s Bogen in der Hand hatte, vernahm ich sinngemäß:
Bogenprofil "normal" im Stamm orientiert, Splintholz vorhanden.
Stehende Jahresringe sind zumindest im von Beckhoff publizierten Profil des starken spätneolithischen / frühbronzezeitlichen Eibenbogens von Vrees erkennbar, allerdings hat mir der o.g. Fachmann glaubhaft vermittelt, das dies aufgrund eines örtlichen Faserverlaufes wohl nur an der Bruchstelle der Fall war.
Ich bin kein besonders guter Bogenbauer, aber ich habe vor vielen Jahren 18 Eibenbogen gebaut. Davon einen 1,4m langen (35 Pfund) mit stehenden Jahrringen komplett aus Kernholz, der nicht zerbrochen ist. Ich besitze auch einen 1,7m langen 46 Pfund Bogen, mit dem ich sehr viel geschossen und bei dem ich das Kernholz komplett entfernt habe. Funktioniert tadellos und wirft sehr schön und aufgrund der einheitlich dunkelbraunen Kernholzfarbe mit deutlich besserer "Tarnung".
Im Bereich der pazifischen Nordwestküste der USA gibt es zahlreiche Beispiele von sehr schön gearbeiteten, kurzen, komplett aus Kernholz bestehenden Eibenbogen mit breiten Wurfarmen ohne "Backing", deren äußerste Jahrringe mehrfach "brutal" durchtrennt wurden. Ein gleiches sehr schönes Beispiel habe ich selbst auch mal im Hamburger Völkerkunde-Museum gesehen. Steve Allely hat in der Boyer`s Bible I ähnliches beschrieben.
http://www.nma.gov.au/cook/artefact.php?id=344
Tim Baker hat zahlreiche Bogen mit stehenden Jahrringen gebaut, die tadellos funktionieren aber er beschreibt auch nachvollziehbar, dass es unter steinzeitlichen Bedingungen eben am einfachsten und schnellsten ist, einen relativ dünnen Stamm zu fällen, zu spalten und nur am Bauch das Holz abzuarbeiten. Der Rücken ist unter der Rinde bereits weitgehend "fertig" geformt. Einen Bogen mit stehenden Jahrringen mit steinzeitlichen Mitteln anzufertigen, stellt einen ungleich höheren, unnötigen Arbeitsaufwand dar. Die Bogen-Formen sind eben auch stark arbeitsökonomisch bedingt.
Marquardt