von Bach » 25.02.2014 11:04
Guten Tag!
Wir rekonstruieren in diesem Sommer zwei Häuser vom Bielerseee um 3400 BC im Park des Bernischen Historischen Museums und haben uns für eine Schindeldeckung entschieden. Das Fehlen von entsprechendem Fundmaterial für eine Grashalmdeckung war bei der Entscheidung zum Schindeldach zwar letztlich der ausschlaggebende Aspekt, es gibt aber dabei auch einen modernen pädagogischen Zugang: ein Legeschindeldach mit seinem flachen Dachwinkel und seinem Schuppenpanzer (bei relativ dicken, grossen Schindeln) entspricht viel weniger dem, was das Publikum erwartet: in den Köpfen sind die Halmdächer für die Seeufersiedlungen durch jahrelange Wiederholung stark präsent, höchste Zeit für eine "Umschulung" also! Ich schliesse die Deckung mittels Halmen nicht mal grundsätzlich aus, für die Zeit der Fundstelle kommt Schilf jedoch nicht in Frage (der Schilfgürtel war damals nicht gross genug), Stroh bedingt grosse Getreidekulturen über einen zu langen Zeitraum, blieben also höchstens andere Wildgräser (wie z.B. Rohrglanzgras). Es gibt zumindest einen Softmarker in Form eines 7m langen Hauspfostens bei einer benachbarten Siedlung, der zu einem steilen (Halm-)Dach gehören könnte, vielleicht aber auch nur zu einem hohen Haus. Die bäuerliche Bautradition der letzten Jahrhunderte zeigt auch in Richtung Stroh, solche direkten Rückschlüsse aus der Neuzeit in die Steinzeit können zwar Anhaltspunkte liefern, sind aber wissenschaftlich nicht haltbar.
Hausrekonstruktionen sind zudem immer bis zu einem bestimmten Grad recht spekulativ, zumindest was die alpinen Feuchtbodensiedlungen anbelangt sind wir darauf angwiesen, von vielen Fundstellen das Haus zusammenzupuzzeln. Zudem (und für diese Diskussion relevant) erhält sich das Bauteil je weiter oben am Haus desto schlechter. Mit andern Worten: Je höher wir bauen, desto unpräziser die Rekonstruktion. Dächer sind nun mal zuoberst auf dem Haus, und davon haben wir ein verhältnismässig kleines Fundspektrum, das sich auf einzelne Funde beschränkt, die sich allenfalls einem Dach zuordnen lassen. Aussagen zu Dachwinkel und Gebäudhöhe lassen sich jedoch keine klaren machen (nur durch konstruktionsbedingte Rückschlüsse). Es gilt nun dem Publikum zu vermitteln, dass wir bloss eine Möglichkeit von vielen darstellen können, das ist in meinen Augen viel besser, als zu sagen, so wie wir's machen, ist es richtig.
Das ist aber nicht mal der einzige Grund für die Ungenauigkeit der Rekos, es gibt noch einen weiteren, ebenso entscheidenden: Generell sind bei Hausrekonstruktionen immer zwei geschichtliche Zwänge auszumachen: Zum einen jenen der Vergangenheit, also die archäologische oder historische Seite, welche uns vorgibt, was im Rahmen des möglichen gewesen sein könnte, zum andern aber auch Einschränkungen der Gegenwart, wie Rohstoffverfügbarkeiten und finazielle Ressourcen (die dann oft leider an Auflagen gebunden sind), ganz zu schweigen von behördlichen Auflagen.
Abschliessend können wir festhalten: Hausrekonstruktionen aus der Urgeschichte bilden immer nur eine Möglichkeit ab, die Ungenauigkeit nimmt dabei mit der Gebäudehöhe stetig zu. Über Dächer werden wir also noch lange diskutieren.
Grüsse
Andreas