Reetdachschwachsinn

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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon silex » 10.05.2014 10:41

Salam Leute,

habe im Netz einen Bericht über die Ernte von Birkenrinde in der Taiga gefunden.

http://sagaan.de/birkenrinde/in-der-tai ... ntet-wird/

Grüße Dirk
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon hugo » 10.05.2014 12:34

Danke Dirk, das konnte ich auch beobachten.
@ Knochen, für die offene Landschaft führ ich wieder Pferd, Reh, Hase, Biber und Konsorten an. Auch die grossen Rindviecher brauchten Bewegungsraum.
lG
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Trebron » 10.05.2014 16:18

Danke Dirk, sehr informativ, vor allem auch der 2. Kommentar !
Wenn es so ähnliche Birken waren, die bei uns im Neolithikum gewachen sind, sehe ich auch keine größeren Probleme !

:mammut2:
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon LS » 11.05.2014 07:21

Hallo Norbert,
ich denke bei uns im Atlantikum (also der wärmsten Phase des Holozäns zur Zeit der Bandkeramik) war die Birkenrinde dünner als bei den nordischen Birken. Das macht aber nichts, entscheidend ist, dass die Rinde viel weniger Störungen und Äste hatte als heute, wo die mitteleuropäischen Birken wegen Umweltstress kaum noch zum großflächigen Abziehen der Rinde taugen. Ich habe selbst während meiner "Rustikalo-Phase" in Norwegen mal Birkenrinde geerntet, ganz so wie das auf den sibirischen Fotos zu sehen ist. Es geht erstaunlich einfach.

Grüße, Leif
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Knochen » 12.05.2014 07:32

Hallo Hugo,
das ist ja gerade mein Problem. Wer erzählt hier die "Unwahrheit" die Pollenprofile oder die Tierarten mit ihrem natürlichen Habitus?! :8:
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon FlintSource » 12.05.2014 23:14

Ich fürchte, das müssen wir mal in einem gesonderten Thread erörtern. Da gibt es jede Menge taphonomische Filter und Maßstabs-Fragen. Pollen bilden immer die Regionalflora ab und müssen für unterschiedliche Pflanzen mit unterschiedlichen Pollenmenge und Pollendispersion korrigiert werden. Zoologische und botanische Großreste (auch Holzkohle in Siedlungskontext und Phytolithen) werden überwiedend von Menschen verbreitet und mitgeschleppt. Entemologie und Malakologie sowie Mikrofauna, bei Gewässern auch Diatomeen, unterliegen am wenigsten Störfaktoren und bilden die unmittelbare Nähe des Fundplatzes ab.

ABER: Ich bin der Meinung, dass es im Neolithikum eher ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Landschaftsausprägungen gegeben hat und das Bild von kleinen Rödungsinseln im dunklen, undurchdringlichen Wald viel zu eng gefasst ist. Hier sollen wir nicht wieder den Fehler machen das Alpenvorland im Jungneolithikum mit deren Gewässerfixation und die lössliebenden Bandkeramikern in Trockenregionen auf einen Haufen zu werfen.

Wie gesagt, ein separater Thread unter Einbeziehung vieler Öko-Archäologen und Paläo-Biologen. Und viel Zeit.

Meinen ersten Aufschlag findet ihr am Ende dieses Aufatzes unter Zusammenfassung/Interpretation: https://www.academia.edu/3820153/_Neolithische_Fullhorner_Archaobotanische_Untersuchungen_in_funf_linienbandkeramischen_Brunnen_in_Westsachsen

Und speziell für Hugo: Neben den im angegebenen Beitrag erwähnten typischen Offenlandarten Pferd und Hase gibt es im gleichen Fundkomplex auch Biber, Reh und Ur, sogar Elch (von dem ich mir aber nicht sicher bin, ob es nicht die Hufen an einem 'importierten' Elchfell sind, da kommt der Mensch als Filter wieder um die Ecke). Vollständige Publikation natürlich auch Open Access: https://www.academia.edu/1160390/Man-animal_relationships_in_the_Early_Neolithic_of_Dresden_Saxony_Germany_
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon ulfr » 13.05.2014 10:22

Sorry, Ihr Lieben, aber ich für meine Person kann nicht recht an Birkenrinde zum Dachdecken glauben. Wir haben Birkenrindenplatten zum Decken dreier Hütten am Federsee verwendet und hatten große Probleme damit. Die Rinde hat sich nach dem Aufbinden derart gewellt, dass sie nur mit massivem Beschwerholzeinsatz wieder in Dachform zu bringen war, eigentlich hätte man das Dach auch gleich mit Holzstangen decken können.

birkenrindendach.jpg


Der Abwart geht nach eigenem Bekunden öfter durch die Häuser und muss immer wieder etliche Zeit darauf verwenden, einzelne Rindenplatten zu verschieben, neu einzustecken oder auszuwechseln.

Birkenrinde lässt sich einfach nicht glätten: selbst wenn man eine Platte jahrelang z.B. zwischen zwei Spanplatten einspannt - entfernt man diese, wellt sich die Rinde innerhalb weniger Stunden zu einer Rolle. Auch mit heißem Wasser, erhitzen überm Feuer o.ä. konnten wir keine befriedigenden Ergebnisse erzielen.
Anderswo habe ich schon mal beschrieben, dass Beschwerhölzer auch nicht der Weisheit letzter Schluss sind, denn diese faulen wegen Staunässe sehr schnell an den Kreuzungspunkten durch, dort, wo sie miteinander verbunden sind, zumindest wenn sie kreuzweise waage- und senkrecht montiert sind. In Asparn habe ich unlängst eine Alternative gesehe, bei der die Hölzer diagonal aufgebunden waren, das könnte u.U. funktionieren, werde ich beobachten ...
Dazu kommt wie oben schon geschrieben, dass Birke als Bauholz kaum geeignet ist, die Rinde fällt also nicht als Nebenprodukt an, sondern muss extra geerntet werden.

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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon LS » 13.05.2014 15:28

Ulfr,
ich simme Dir was das Einrollen betrifft aus eigener Erinnerung zu. Meine norwegische Birkenrinde hat sich auch so aggressiv eingerollt (um eine Plakatrolle herum), dass ich sie anschließend nur für mehrere Rindenköcher nehmen konnte. Sie hatte dafür im Laufe des Urlaubs einfach die perfekte Form angenommen. Aufrollen, um zum Beispiel eine große Schachtel draus zu machen, war chancenlos.

Es ist doch aber unbestritten, dass in Skandinavien Birkenrinde zum Dachdecken in vielen Gegenden genommen wurde, bis ins letzte Jahrhundert. Also haben die entweder Tricks um die Rinde ledrig zu halten oder watt...?

Und denk dran, dass Strelice genau diese Beschwerhölzer zeigt!

Ratlose Grüße,
Leif
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Blattspitze » 13.05.2014 15:45

Ich nerve mal wieder mit der von Vielen ungeliebten Ethnologie.

Langhaus, von Europäern 1743 dokumentiert:
Bild

Seneca-Siedlung:
Bild

Hier verschieden rekonstruierte Irokesen-Langhäuser mit Ulmen(!)rinden - Dach- und Wanddeckung :
Bild
Quelle: http://firstpeoplesofcanada.com/fp_grou ... ravel.html

Bild
Quelle: http://nativeamericannetroots.net/diary/1081
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon FlintSource » 13.05.2014 20:08

Vielen Dank Blattsptze,
die Seite http://nativeamericannetroots.net/diary/1081 ist extrem informativ. Länge, Bewohnungsart (nicht mit 6,4 Personen wie für die LBK postuliert), Standdauer und hochinteressant:
One of the limiting factors was the rapidity with which local resources-firewood being a major concern-were used up.

Alles andere als ungeliebt oder nervig.
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Andreas K. » 22.05.2014 06:46

Wieder weg von der Rinde, hin zum Schilf und in die Antike und das Frühmittelalter:

Anette Siegmülller (S.59ff) spricht Weidenrutenschlingen und Bündel von Schilf als Teile der Dachdeckung auf der Wurt Hessens an - wenn auch mit großem Fragezeichen. Außerdem führt sie eine Anzahl Fundstellen mit vermuteter oder nachgewiesener Dachdeckung auf:

Feddersen Wierde - Schilf, wahrscheinlich
Wellinghusen - Schilf, nachgewiesen
Tofting - Soden, nachgewiesen

Zudem beschreibt ihrer Angabe nach Plinius (nat. hist. XVI, 156), Schilf gedeckte Dächer aus kalten Regionen.

Auf den Nachfolgenden Seiten gibt sie zudem verschiedenen Beispiele für den Rest der Dachkonstruktion mit Fundorten von konstruktiven Teilen

Aus: Siegmüller: Die Ausgrabungen auf der frühmittelalterlichen Wurt Hessens in Wilhelmshaven. Siedlungs und Wirtschaftsweise in der Marsch. Studien zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im südlichen Nordseegebiet 1. 2010.
Geschichte geht durch den Magen
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Lahntaler » 04.06.2014 12:20

hugo hat geschrieben:Danke Euch allen für die Recherche. Dann kann ich mal ans Schreiben gehen. Das Protokoll von Chris aus Ergersheim hab ich auch schon. Im FB hab ich Claus Meiritz den Obermacher der Zeiteninsel mit einem Randproblem schon leicht verunsichert und werd das weiter betreiben. Gemeinsam könnten wir ihm vielleicht noch ausreden, das Projekt als Museum zu bezeichnen. Wenn es Euch recht ist, nehm ich Markus als Coautor und zitier das Forum als Gruppe. Hie und da bewährt sich Schwarmintelligenz.
liebe Grüße
Hugo


Lieber Hugo, liebe Mitautoren in diesem thread.
ich habe die Diskussion um den Reeddachschwachsinn bisher interessiert verfolgt. Bei diesem Beitrag von Hugo habe ich aber mehr Fragen als Antworten. Zunächst als Klarstellung. Herr Meiritz ist als Projektleiter "Angestellter" bei dem Betreiber des zukünftigen Museums der eG Zeiteninsel, nur um den schwammigen Begriff ""Obermacher" näher zu definieren.

Des weiteren würde ich gerne wissen warum die Zeiteninsel kein Museum sein soll, und warum hier im Forum mittels Schwarmintelligenz dies Herrn Meiritz ausgeredet werden sollte? Die Tatsache, dass auf der Zeiteninsel erst ein Grubenhaus (ohne Dachbedeckung) steht und noch kein Kassenhäuschen kann ja wohl nicht gemeint sein, denn jedes Museum fängt irgendwann einmal klein an, oder ist das in Ländern südlich der Alpen anders?
Mit freundlichen Grüßen
Lahntaler
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Markus » 04.06.2014 19:14

Moin Lahntaler!

Ich denke, Du hast Hugo da falsch verstanden.

Es geht m.E. nicht darum, der Zeiteninsel das Prädikat Museum abzusprechen, weil momentan noch nicht viel passiert (woran das liegt wissen wir beide ;-) ), sondern um die Idee das ganz nicht als Museum im klassischen Sinne, sondern als experimentalarchäologisches Versuchsfeld zu betrachten.
In einem klassischen Freilicht-Museum müssen in Bezug auf Authentizität bedingt durch den Publikumsverkehr und damit einhergehende Sicherheitsmaßnahmen, oftmals große Abstriche gemacht werden. Metallbolzen, Drahtwicklungen, Betonfüße,etc,pp. Und DAS ist aus archäologischer Sicht eben ein Problem, da sich so viele Aussagemöglichkeiten über Haltbarkeit von Baumaterialien, Standzeit der Häuser usw. nicht untersuchen lassen...
Fakt ist aber, das selbst wenn Claus sich von Hugo überzeugen lässt, das nichts bringen wird, da die Konzeption da bereits ziemlich fest verankert ist bzw. das Argument Besucher -> Tourismus dann deutlich schwerer zu argumentieren würde.
Also, cool bleiben!

Gruß in die alte Teilzeitwahlheimat!
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon hugo » 05.06.2014 09:13

Schon vor über 20 Jahren als ich den Begriff "Rekonstruktion" für viele Fälle durch "1:1- Modell" ersetzte, stellte ich auch die Bezeichnung Museum für reine Modellsammlungen in Frage.
(Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 121, 1991, 155 ff.) Archäologisches Freilichtmuseum trifft für mich nur für Originale möglichst in situ zu. Die Modellparks tragen in Österreich andere Bezeichnungen z. B. Freigelände, wenn sie an Museen angeschlossen sind.
http://de.wikipedia.org/wiki/Freilichtmuseum#Arch.C3.A4ologische_Freilichtmuseen Diese Definition in der Wiki ist schwammig und bedarf der Nachbearbeitung. Diese trifft den Kern schon eher:http://www.freilichtmuseum.at/freilichtmuseum-stg-mainmenu-6/11/16-deklaration-des-verbandes-europcher-freilichtmuseen
In der ICOMdefinition haben die odellsamlungen keinen Platz. http://www.icom-deutschland.de/schwerpunkte-museumsdefinition.php Mit der Gründung von EXARC setzte sich dann leider der Begriff Freilichtmuseum durch. Schlimm wird es, wenn es sich um reine Kulissen für "Events" handelt.
Warum nicht bei Zeiteninsel bleiben? Die Marke ist einmalig, Museen gibt es viele.
Gruß
hugo
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Re: Reetdachschwachsinn

Beitragvon Lahntaler » 05.06.2014 13:42

Hallo Hugo, vielen Dank für die Antwort. Ich möchte jetzt hier nicht einen neuen Gedankengang eröffnen. Aber doch die Diskussion kurz noch weiterführen .
Vielleicht ist es einfach doch besser die Vielseitigkeit bei dem Begriff archäologisches Freilichtmuseum zuzulassen. Auch in Österreich scheint es keine klaren Regelungen zu geben. Das Ötzi Museum in Umhausen (Tirol) wird überwiegend archäologisches Freilichtmuseum genannt synonym wird dort in Umhausen auch der Begriff archäologischer Freilichtpark benutzt. Auch dort gibt es keinen in situ Befund und keine Originalgebäude sondern 1/1 Modelle
Vielleicht ist es aber auch nur eine sprachliche Unterschiedlichkeit. Die Tomaten (Paradeiser) und Maiskolben heißen in Österreich ja auch anders gemeint ist aber das selbe.
:wink:
Liebe Grüße Lahntaler
Lahntaler
 

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