Was trug Mann 900-700 v. u. Z. in Nordeuropa?

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Was trug Mann 900-700 v. u. Z. in Nordeuropa?

Beitragvon Nils B. » 05.01.2009 16:52

Bei dieser Frage stecke ich aktuell leider fest, denn die mir bekannten Textilfunde rahmen diese Epoche zwar ein, definieren sie aber nicht.

Da hat es zum einen die Wollkleidung aus den Baumsärgen, z.B. aus dem Grabhügel von Trindhøi, welche allerdings in die ältere BZ datiert, also bis zu 600 Jahre früher. Hier gibt es für den Herren Wickelwams, Kappe, Lendenschurz, Webgürtel, Fußlappen und Decken aus Wolle in grober Leinwandbindung. Die Farbe variiert dabei, im Rahmen der verwendeten, ungefärbten Schafsfelle zwischen grau, braun, schwarz und weiß.
Der Schnitt des Wickelwamses ahmt in der Form eventuell noch das Tierfell selbst nach, wobei der befestigende Riemen über der Schulter die Verbindung von Vorder- und Hinterlauf imitiert. Des Weitern täuschen unzählige, einzeln in die Kettfäden eingeknotete Woll-Locken in der Oberfläche des Mantels (über 10.000 einzelne Locken) und eingenähter Wollfäden (ca. 120.000 Einzelfäden) in der 'Prachtmütze' offenbar Pelz/Fell vor.

Hernach setzen Textilbelege in dieser Region - dank der Feuerbestattung - erst mit dem früheisenzeitlichen Mantel von Gerum wieder ein (offenbar eine Niederlegung im Moor), welcher nach C14-Analyse irgendwo um 350-200 v. u. Z. datiert. Dieser besteht ebenfalls aus Wolle, ist jedoch bereits in Hahnentritt gewebt und weißt keinen 'atavistischen' Pseudofell-Dekor auf.

Dazwischen herrscht - zumindest meines Wissens nach - gähnende Leere, was die Fundlage angeht. Und auch die bildlichen Darstellungen sind sehr vage.

Was jedoch auffällt ist, dass im Bereich der Damenmode, die bekannten, teils mit eingeflochtenen Bronzeröhrchen verzierten Schnurröcke, u. a. aus dem Baumsargfund von Egtved (Jütland), offenbar lange überlebt haben, weist die, artistisch verrenkte Frauendarstellung von Grevensvaenge aus der jüngeren BZ doch noch exakt dieses Kleidungsstück auf.
Hier ist anzumerken, dass die Frauentracht der frühen Bronzezeit bereits wesentlich 'moderner', bzw. praktischer anmutet, als die offenbar rückwärtig reflektierende Männertracht.
Wo der Mann sich noch recht umständlich 'unförmige Stoffstücke' umschnallt, trägt die Dame bereits eine leichte Woll-Bluse im 'Kimonoschnitt' und dazu einen geraden Wickelrock mit gedrilltem Webband, bzw. bereits erwähnte, in der Herstellung äußerst raffinierte Schnurröcke. Ein, wie ich finde, erstaunlicher Gegensatz, vielleicht aber auch nur aufgrund meiner subjektiven, rezenten Ansicht.

Die ebenfalls zum spätbronzezeitlichen Fundkomplex von Grevensvaenge gehörende, vermutlich kultische Darstellung der männlichen 'Zwillinge' mit gehörntem Viksø-Helm und erhobener Kultaxt scheint - nach meiner Interpretation - eine Art gegürteten, schmalen 'Poncho' zu tragen, welcher mindestens bis zur Körpermitte reicht und vorne spitz zuläuft, während der hintere Saum waagerecht verläuft. Diese, nur durch schmale Rillen in der Oberfläche angedeutete Bekleidung(?) ist mir allerdings zu ungenau, um eindeutige Informationen liefern zu können.

Nordeuropa, im speziellen Falle der heutzutage dänische Raum, inklusive Inseln, war nachweislich ein äußerst aktives Handelszentrum. Bernstein, wohl auch Pelze wurden von hier nach Süden ex-, im Gegenzug Waren aus aller Welt importiert, wobei Bronzegegenstände und -rohmaterialien nur die unvergänglichen Güter darstellen dürften.

Meine Frage an die SpezialistInnen hier wäre nun: Womit darf man, Eurer Meinung nach, 'guten Gewissens' zwischen 900 und 700 v. u. Z. im Gebiet des heutigen Dänemark rechnen?
Archaischer Wickelwams oder vielleicht schon Chiton?
Leinwandbindung oder eventuell auch schon (gemusterte) Köper-Gewebe?
Nur Wollstoffe oder auch Leinen?

Als Indiz könnte vielleicht das, was es aus dieser Zeit an Tracht-Überresten gibt, dienen. Hierbei handelt es sich um diverse beinerne Gegenstände (eventuell Knöpfe, Knebel oder Schließen), welche zwar auf eine raffinierter Modegestaltung schließen lassen dürfen, jedoch - zumindest für mich - kaum Rückschlüsse auf das genaue Erscheinungsbild selbiger zulassen (Abbildung folgt).

Was ist Eure Meinung hierzu? Weiß jemand mehr?
Bin für jede Hilfe dankbar.
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Beitragvon Steve Lenz » 30.01.2009 22:38

Bei meiner Recherche zu möglichen Textikrekos (männlich) der frühen Urnenfelderzeit stieß ich von Dänemark bis Spanien, Sardinien, Ägypten, dem Hethiter- und dem Assyrerreich, dem Balkan sowie dem Karpatenbecken auf dem nordischen Wickelwams sehr ähnliche Kleidungskonzepte.

Ich persönlich gehe vom Folgen bronzezeitlicher Traditionen bis in die frühe Hallstattzeit (HaC) hinein aus. Erkennbar am Grabbrauch und der Beigabensitte. Die "Grekisierung" erfolgt später.

Ich würde an Deiner Stelle eher das Wickelwams für Deine Darstellung wählen.
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Beitragvon Chris » 03.02.2009 18:45

die genannten Doppelknöpfe (Bronze oder Knochen) weisen auch eher in Richtung "Wickelwams" - der Schulterträger wurde mit so einem Knopf geschlossen :D
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Beitragvon Nils B. » 10.02.2009 21:10

Wobei in der späteren dänischen Bronzezeit diese Doppelknöpfe offenbar zugunsten von Gewandnadeln verschwanden (oder zumindest in den Hintergrund traten), deren 'Kopf' - wenn scheibenförmig - jedoch bisweilen noch die exakt gleichen Spiral- oder konzentrischen Kreismotive zeigte wie die früheren Knöpfe. Ansonsten hatte es Vasenköpfe, Masken oder einen T-förmig angebrachten Querbalken.
Allerdings bin ich mir ob der Verschlußweise auf dem Rücken nicht wirklich sicher. Nach ersten Versuchen mit meinem Wickelrock stellt sich das doch recht unpraktisch dar.
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Beitragvon marled » 11.02.2009 14:41

Ja, die Männer vom Bronzezeithof in Uelsen haben das auch schon festgestellt und dass sie beim Anlegen der Tracht immer auf weibliche Mithilfe angewiesen sind.
Aber unpraktisch ist kein Indiz gegen eine Kleidungsform (leider, muss ich allerdings persönlich in manchen Fällen zugeben).
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Beitragvon Nils B. » 11.02.2009 16:54

marled hat geschrieben:Aber unpraktisch ist kein Indiz gegen eine Kleidungsform (leider, muss ich allerdings persönlich in manchen Fällen zugeben).


Das ist schon klar, Marled :wink:
Habe ja auch erfolgreich meine Freundin zum Vertäuen des Schulterriemens verpflichtet.
Die Sache bei der Spätbronzezeit ist jene, daß man sich auf die Brandbestattung 'herausreden' könnte.
Die Knöpfe aus den Baumsarggräbern der Frühzeit scheinen ja nach Fundlage recht eindeutig zuzuordnen zu sein. Die Nadeln. Großes Fragezeichen...
Werde beides mal ausprobieren.
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Beitragvon Steve Lenz » 11.02.2009 16:59

Im antiken Mykene war es usus, dass die Frau des Hauses dem Mann nach dessen Rückkehr die Füße wusch. Vielleicht ein Indiz darauf, dass bronzezeitliche Männer generell weiblicher Hilfe beim Besser-aussehen bedurften!? :D
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Beitragvon Nils B. » 11.02.2009 18:46

So eine dornbewehrte Gürtelscheibe tragende Proto-Dänin hätte ihrem Kerl wohl eher den Kopf gewaschen, wenn er nach abendlicher Unterredung mit dem Nachbarsschmied gen Heimat getorkelt wäre :wink:

Nichtsdestotrotz, wenn der Knopf einmal 'gesetzt' ist und man den Rock vorne mit ein oder zwei kleinen Nadeln (Knochen?) in Form fixiert (wenigstens also während des Nichtgebrauchs), dann kann man sich das Teil fast wie eine Tunika über den Kopf stülpen.
Muß wohl nach Dänemark, im Kopenhagener Museum nach Lochmarken im Woll-Gewebe suchen :)
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Beitragvon Hans T. » 12.02.2009 08:40

Die dortigen Gewebe sind alle löchrig. Überall... :D
"Des is wia bei jeda Wissenschaft, am Schluß stellt sich dann heraus, daß alles ganz anders war."
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Beitragvon Nils B. » 12.02.2009 20:05

War auch eher ironisch gemeint :wink:
Bei der Webart kann man ein zartes Knochennädelchen wahrscheinlich nahezu spurlos durch die Wolle ziehen...
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