Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

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Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Martin » 04.01.2012 21:26

Hallo allerseits,

ich bin gerade ein bisschen am Schwindeln sozusagen. Oder mit anderen Worten dabei zu probieren, wie man die Wirkereien bei sogenannten koptischen Tuniken nachstellen könnte wenn man nicht gerade die Möglichkeit hat, gleich die ganze Tunika in der Originaltechnik zu weben/weben zu lassen. Das Beste auf das ich bis jetzt gekommen bin, ist leider auch das bei weitem aufwendigste: aus einem Leinenstoff in Leinwandbindung in der Form des Orbiculus den Schussfaden herausnehmen und dann mit Nadel und Faden den Wollgrund des Orbiculus wieder ein"weben". Dauert ein bisschen wie ich grade feststelle :-P
Aber auf der anderen Seite läßt sich so das Webmuster relativ gut nachstellen und auch nachvollziehen - in diesem Fall "4/2, floating, grouped and crossing warp threads" (aus Pritchard, Frances & Chris Verhecken-Lammens. 2001. "Two Wide-Sleeved Linen Tunics from Roman Egypt" in The Roman Textile Industry and its Influence (Rogers, Penelope Walton, Lise Bender Jørgensen & Antoiette Rast-Eicher eds.). Oxbow Books, Oxford.(pp. 21-29), p24).
Hier 2 Bilder vom momentanen Stand der Dinge (max Durchmesser ca. 8 mm):

Vorderseite
Bild

Rückseite
Bild

Hat sich vielleicht sonst schon mal jemand (Marled?) Gedanken in diese Richtung gemacht?
Viele Grüße,

Martin
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon ulfr » 04.01.2012 21:44

Ist das nicht fast genausoviel Arbeit wie das neu Weben :mammut1: :mammut2:

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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon FlintSource » 05.01.2012 00:14

Bedeutet das, dass du nach jedem Schuss die Holznadel gegengesetzt durchfimmeln muss? Ich würde wahnsinnig werden! Das Ergebnis sieht aber gut aus. Wenn du aber bereits schwindelst, könntest du das Teil nicht einfach auf das intakte Tuch sticken? Ich bin aber Webe-Banause, wenn es nach mir ginge, würden wir allen noch in Bärenfellen herumrennen.
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Manu » 05.01.2012 07:58

Das gefällt mir ausserordentlich gut, gratuliere.

:borte: :octo: :aha:
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon marled » 05.01.2012 08:18

Nein, aufs nachträglich Einweben bin ich noch nicht gekommen. Hut ab vor deiner Ausdauer, das Ergebniss sieht aber wirklich überzeugend aus!
Aber auch das Einweben während des Webvorgangs ist sehr zeitaufwändig, denn die Muster werden ja eingelesen, d.h. Kettfäden werden abgezählt und der bunte Schussfaden, der Vorlage entsprechend, in das Gewebe einzeln eingetragen. Das kann man nicht automatisieren, aber geübte Bildweber haben da natürlich eine ganz andere Geschwindigkeit wie unsereins.
Das kann man sich dann ungefähr so vorstellen: Video über Kelimwirkerei heutzutage in Anatolien - die Technik ist die gleiche.
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Bullenwächter » 05.01.2012 10:24

Klasste Martin, das wird sicher einen schönen realistischen Effekt geben, wie hast Du die Enden der abgeschnittenen Kett- und Schussfäden aus dem Grundgewebe behandelt? Auf den Bildern sieht es aus als ob sie am Rand des Musters ohne Überstand abgeschnitten sind. Dabei kann es aber später passieren dass sie eventuell ausfransen und der Musterrand etwas unsauber wirkt.

@ FlintSource:
Sticken ist eine komplett andere Technik, die von vielen Darstellern angewandt wird um eingewirkte Muster nachzuahmen. Das Sticken hat aber nicht den gleichen Effekt wie das Wirken, da die Stickerei immer auf dem Grundgewebe aufliegt und die Wirkerei mit dem Grundgewebe eher eine ebene Fläche bildet.
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Martin » 05.01.2012 10:58

Hallo

danke für die Antworten!

Ist das nicht fast genausoviel Arbeit wie das neu Weben


Naja, ist meinen Voraussetzungen geschuldet: erstens habe ich keinen Webstuhl, 2tens kann ich nicht weben und 3tens muss ich das Grundgewebe nicht auch noch anfertigen :-)

Bedeutet das, dass du nach jedem Schuss die Holznadel gegengesetzt durchfimmeln muss?


Zum Glück nicht. Die ist nur da, um die flottierenden Kettfäden auf Abstand zu halten, damit ich sie nicht aus Versehen aufsammle, wenn ich den Schuss mit der Nadel durchführe.
Wie Bullenwächter schon geschrieben hat, ergibt Sticken eine andere Optik, das will ich vermeiden.

wie hast Du die Enden der abgeschnittenen Kett- und Schussfäden aus dem Grundgewebe behandelt? Auf den Bildern sieht es aus als ob sie am Rand des Musters ohne Überstand abgeschnitten sind. Dabei kann es aber später passieren dass sie eventuell ausfransen und der Musterrand etwas unsauber wirkt.


Ja, darüber mache ich mir auch gerade Gedanken. Sind übrigens nur die Schussfäden, die Kettfäden sind noch alle da. Wahrscheinlich wird es besser sein, ein Stück der Schussfäden übrig zu lassen und dann auf der Rückseite irgendwie zu vernähen. Muss ich beim nächsten Versuch ausprobieren.
Diesmal geht es mir in erster Linie darum, möglichst nahe an den Effekt der Originale (ca. 3.-5. Jh. n.) ranzukommen. D.h. einigermassen sauberer Schussrips unter gleicher Kettfädenaufteilung wie bei der Vorlage und dabei ein Gefühl für die nötige Spannung des Schussfadens zu bekommen. Und natürlich darum zu sehen, ob das so überhaupt funktionieren kann.
Viele Grüße,

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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Bullenwächter » 05.01.2012 11:04

:oops: Stimmt, hättest Du Kett- und Schussfäden abgeschnitten wäre ein schönes Loch zum Stopfen übrig geblieben :mammut2:
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Claudia » 13.01.2012 13:29

Über derartige Versuche hab ich auch schon länger nachgedacht, sind aber auf meiner to-do-Liste nie besonders hoch gerückt...
Sieht jedenfalls schon gut aus dieser Versuch! Bin gespannt, wie's weitergeht :-)
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Hans T. » 13.01.2012 14:16

Die Muster im Germanischen Nationalmuseum werden dort als "mit fliegender Nadel" hergestellt bezeichnet. Ist das sowas in der Art?
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Claudia » 13.01.2012 16:44

Die Technik der fliegenden Nadel bedeuten noch zusätzlich zum farbigen Wollgrund eingetragene Musterschüsse, die aber nicht glatt durch ein irgendwie gebildetes Fach durchgehen, sondern zwischendurch Kettfäden umwickeln. Soweit ich das gesehen habe, können da auch mehrere Fäden pro Schuss sein, die immer nur einen Faden oder Fadengruppe umwickeln und dann hängen bleiben, bis man sie dann ein paar Schussfäden später wieder für eine Umwicklung braucht (damit macht man dann senkrechte Linien).
Wenn Du Dir solche eingewebten Medaillons anguckst, siehst Du Fäden, die ähnlich aussehen, wie aufgestickt und die in der Regel Umrisse nachzeichnen oder Farbfelder voneinander abteilen- das sind diese Fäden.

Also das, was Martin hier bisher hergestellt hat, ist der farbige Grund, fliegende Nadel ist noch nicht dabei.
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon marled » 13.01.2012 17:24

Hier sieht man sehr schön den zusätzlich zum Grundgewebe eingetragenen hellen Faden - und auch, dass das blaue Grundgewebe in der Art gewebt ist, wie Martin es nachträglich herstellt.
Bild
Quelle: Ancient Resource LLC


Marled
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Martin » 13.01.2012 22:16

Hans, ja, das Original, das ich gerade versuche nachzumachen, bildet das Muster in dieser Technik. Claudia, danke für die ausführliche Erklärung! Eigentlich sollte ich den hellen Faden schon mitführen, aber ich möchte erst mal etwas Erfahrung mit dem Grundmuster gewinnen.
Ein kleines Bild vom Original gibt es hier (die Vergrößerung funktioniert leider nicht).
Soweit ich erkennen kann, zeigt das Bild von Marled schön, dass es auch beides gibt, fliegende Nadel und eingewebte helle Fäden.
Viele Grüße,

Martin
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Joze » 19.01.2012 00:28

Hallo,
schaut super aus!!!
Habe ich es richtig verstanden: machst du Martin Wirkerei, oder fliegende Nadel?
Laut Quellen zu den koptischen Textilien, wurden einige Ornamente in Wirkerei, andere in fligenden Nagel und manche auch kombiniert gefertigt.

Ich habe heute an den Board Flavii wieder einen Artikel gelesen, eben beim Thema Clavi aus den 3.-4. Jahrh., dass die gestickt waren (Quelle: ein Buch über den römischen Tuniken eben dort). Ich sage es nochmal deswegen, weil wir in Flinkhand lange Diskussion gehabt haben um zu ausdiskutieren, dass die römische Tuniken nicht gestickt waren und viele Autoren schreiben falsch darüber, weil die selber Mangel an den handwerklichen Wissen haben.
Ich möchte mich auch einmal diese Techniken erlernen.

Joze
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Re: Eingewobene Orbiculi - kleiner Versuch

Beitragvon Martin » 19.01.2012 09:03

Hallo Joze,

Joze hat geschrieben:Habe ich es richtig verstanden: machst du Martin Wirkerei, oder fliegende Nadel?


Was auf den Bildern oben zu sehen ist, läuft gewöhnlich unter Wirkerei, wobei das Ganze hier einfarbig ist und eigentlich während des Webvorgangs des Leinengrundstoffes erfolgen müßte. Ist also nicht wirklich Wirkerei, eher Betrugswirkerei :-). Es gibt dazu auch mehrfarbige Beispiele, d.h. verschiedenfarbige eingewebte Schussfäden bilden das Ornament.
Eigentlich sollte ich bei meinem Beispiel noch einen Leinenfaden mitführen, der aber eher entlang der Kettfäden läuft und das Muster bildet. Der ist also nicht wie die violette Wolle eingewebt und wird i.A. als fliegende Nadel bezeichnet.

Ich habe heute an den Board Flavii wieder einen Artikel gelesen, eben beim Thema Clavi aus den 3.-4. Jahrh., dass die gestickt waren (Quelle: ein Buch über den römischen Tuniken eben dort). Ich sage es nochmal deswegen, weil wir in Flinkhand lange Diskussion gehabt haben um zu ausdiskutieren, dass die römische Tuniken nicht gestickt waren und viele Autoren schreiben falsch darüber, weil die selber Mangel an den handwerklichen Wissen haben.


Ich kenne den Beitrag dort nicht, aber "eingestickte Clavi" sind mir noch bei keinem Original begegnet. Meistens halten die Leute Muster, die per "fliegender Nadel" gebildet werden (in Clavi oder Orbiculi) für eingestickt.
Viele Grüße,

Martin
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