von Sikla » 17.07.2006 16:58
Je nun, darauf habe ich eigentlich schon von Anfang an gewartet, daß mir jemand sagt, ich solle doch auch mal in die Grabungskataloge schauen....
Klar machen sich Löffel beim Kochen, Rühren, in der Kranken- und Kinderpflege gut und wenn man in die kulturwissenschaftliche Literatur zum Essen und Trinken schaut, liest man auch überall, daß der Löffel das älteste Eßgerät des Menschen ist. Will man für diese Aussage genauer rechercheren, eventuell Funde und Quellen, dann siehts schon wesentlich schlechter aus. Es gibt in der römischen Literatur zwei (!) immer wieder zitierte Stellen, in denen die Verwendung eines Löffels beschrieben ist. Wobei man bei Verwendung ja auch genauer hinschauen muß, was eigentlich damit gemeint ist. Auch so ein uns heute alltäglich erscheinender Löffel kann unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden. Funktionsorientiert kann man Löffel unter zwei großen Kategorien betrachten: produzierend (kochen, rühren, abschmecken, kosten etc.) und konsumierend (essen, verzehren). Konsumierend kann nochmals unter zwei Unterkategorien geteilt werden: passiv-konsumierend (dabei wird jemand etwas mit einem Löffel gereicht ? einem Kind, einem Kranken, aber auch aus der Servierschüssel/Schale auf dem Tisch etwas ausgeteilt) und aktiv-konsumierend (hierbei isst man selbst, wird also selbst aktiv). Die häufig diskutierte, aber nicht schlußendlich belegte Verwendung der Löffel im kultischen Handeln des frühen Christentums lassen ich hier bewußt weg. In mittelalterlichen Darstellungen gleichen sich die Löffel für die produzierende und die passiv-konsumierende Nutzung auffallend, während der aktiv-konsumierende Aspekt erst deutlich später und dann mit einer deutlich anderen Formensprache dargestellt wird.
Daß die allgemein bekannten römischen Löffel in die aktiv-konsumierende Kategorie fallen, dürfte unstrittig sein. Für die britischen Inselns faßt C.A. Winter die bis dato bekannten Objekte 1990 in seiner Dissertation zusammen. Dabei konzentriert er sich nicht nur auf die metallenen Löffel, sondern erfaßt alle römisch bzw. frühmittelalterlich zu datierenden Löffel, gleich welchen Materials. Die aus organischem Material bestehenden Löffel (Horn, Knochen, Elfenbein) sind mit ihren 2% Anteil an der Gesamtstückzahl nur als marginal zu bezeichnen. Er selbst merkt dazu mehrfach an, daß es vor allem hinsicht moderner Grabungsmethoden und der vielzahl dabei geborgener Objekte aus organischem Material nicht nachvollziehbar ist, den geringen Bestand an Löffeln ausschließlich auf die diffizilieren Lagerungsbedingungen zurückzuführen. In seiner Zusammenfassung (S. 282/282) resümiert Winter: ?...Insgesamt kann aber nicht von einer Fortsetzung von Löffeln als Eßgerät über das frühe fünfte Jahrhundert hinaus ausgegangen werden ? Eßlöffel sind aus angelsächsisch-frühmittelalterlicher Zeit nicht in größerer Anzahl bekannt...?.
Für den deutschsprachigen bzw. kontinentaleuropäischen Raum sind die in meinem ersten Posting genannten Autoren bedeutsam, wobei der jüngste Artikel von Böhme ja auch schon 1970 erschienen ist und alle sich hauptsächlich auf die in Gräbern gefunden römischen Silberlöffel konzentrieren. Lediglich die Löffel des Schatzfundes von Kaiseraugst wurden tiefergehend untersucht und in den 1980er Jahren mehrfach separat veröffentlicht. Kurz nach der Dissertation von Winter erschien 1992 von Stephan Hauser: ?Spätantike und frühbyzantinische Silberlöffel ? Bemerkungen zur Produktion von Luxusgütern im 5. bis 7.Jahrhundert?, hier ist jedoch auch das Forschungsgebiet durch die Beschränkung auf Silber als Material stark eingegrenzt. Eine Fundzusammenstellung aller Löffelfunde aus vormittelalterlicher Zeit für Deutschland/Kontinentaleuropa, wie sie Winter für Großbritannien leistete, bleibt bis heute ein ?Desiderat der Forschung?.
Löffel in der aktiv-konsumierenden Form treten erst wieder ab Mitte des 14.Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum häufiger auf. Die unter den ?Magdeburger Gußmodeln? erwähnte(n) Löffelmodel (vor 1280) konnte ich bislang nicht einsehen, da eine eMail an das Landeamt in Halle bislang nicht beantwortet wurde. Gehäufter treten die nunmehr fast ausschließlich aus Holz gefertigten Löffel dann erst in spätmittelalterlichen Fundkomplexen auf, wobei ihre geringe Anzahl sie immer im ?nachgeordneten? Bereich ansiedelt. Soweit mir bislang bekannt, ist der Windheimer Spitalfund der bislang umfangreichste Löffelfund in einem Einzelkomplex mit unter 20 Stück, während die Anzahl der Eßschüsseln (die auch auch gut zu verfeuern wären) die der Löffel um ein vielfaches übersteigt. Anzumerken wäre noch, daß bildnerische Darstellungen von Löffeln in der produzierenden und der passiv-konsumierenden deutlich früher auftreten als Darstellungen von Löffeln der aktiv-konsumierenden Form.
Als These kann man vielleicht formulieren, daß die Benutzung eines Eßlöffels der aktiv-konsumierenden Form eine römische Sitte der Kaiserzeit/Spätantike gewesen ist, die sich nur bedingt bzw. nicht auf die einheimische Bevölkerung der Provinzen übertragen hat. Erst mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft im Hochmittelalter (siehe auch Elias bzw. Bourdieu) kann die Verwendung eines Eßlöffels als Mittel der Distinktion und Repräsentanz eingesetzt worden sein. Einflüsse der Antikerezeption, des Kulturtransfers mit dem Orient, der großen Epidemien des 14.Jahrhunderts sowie des städtischen Bürgertums wären noch zu klären. Um 1500 erreichte der Löffel auch die unteren Schichten, wie die vielfältigen Darstellungen vor allem in der flämischen Malerei (Brughuel und Konsorten) sowie umfangreichere archäologische Funde belegen.
Letztendlich bin ich auf der Suche nach schlüssigen, haltbaren und überzeugenden GEGENBeweisen zu dieser These. Theorien nach dem Motto "dat brennt jut", "nix gefunden, aber es war so" oder " dat war schon immer so" helfen defintiv nicht weiter..
Viele Grüße Sikla