Bastgeschwindigkeit

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Bastgeschwindigkeit

Beitragvon ulfr » 05.07.2008 17:40

Liebe Gemeinde,

ich habe vor einiger Zeit einen Ausschnitt eines mesolithischen Fischernetzes aus Lindenbast hergestellt, 0,25 qm groß. Die Arbeitszeit für diesen Ausschnitt habe ich einerseits mitgezählt (Zwirnen, Netz knüpfen), zum anderen geschätzt (Rinde ernten, rösten, Bast lösen, separieren und trocknen) Ich komme für diesen kleinen Ausschnitt auf ca. 20 Stunden, in dem Netz sind 21 m Schnur von ca. 1,5 - 2 mm Dicke verarbeitet.
Der für die Ausstellung zuständige Archäologe meinte nun, das wäre extrem viel, das müsste eigentlich viel schneller gehen...

Nun habe ich insgesamt bestimmt schon mehr als 500 m Bastschnur gezwirnt, und ich schaffe nicht mehr als etwa 1,5 m in der Stunde, je nachdem, wie konzentriert ich bei der Sache bin.

Daher meine Frage an Euch, die ihr auch schon mal Bast gezwirnt habt: Wie schnell geht das bei Euch? Bin ich etwa als Mann für derartige Arbeiten nicht kompatibel? Ich habe mal ausprobiert, die beiden Garnstränge durch Rollen auf dem Oberschenkel zu verzwirnen, wie ich es mal in einem Inuit-Film gesehen habe, da wurden so Fäden hergestellt, das ging da ziemlich schnell, funktioniert aber mit Bast nicht....

In Hamburg im Frühjahr schien es mir, als ob wir alle ungefähr gleich schnell waren.

Für Antworten (gern auch anonym :D) wäre ich sehr dankbar

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Beitragvon Medusa » 06.07.2008 14:21

Ich war sicherlich langsamer als die anderen, da ich es zum ersten Mal gemacht habe. Aber sicherlich eine gute Sache, die man gut in so einer großen Runde machen kann, oder vor dem Fernseher sitzend, dann ist's nicht so öde und man rennt irgendwann die Wand hoch. Also in unserer Runde beim Archäoforumtreffen fand ich es sehr nett, nebenbei was machen zu können und sich dabei zu unterhalten. Wieviel ich aber geschafft habe in welcher Zeit, weiß ich nicht mehr.
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Beitragvon Hans T. » 06.07.2008 14:59

Ulfr, woher nimmt der Archäologe seine Weisheit? REFA-Wert für Bastzwirnen?

Auf den ersten Blick erscheint 150 cm pro Stunde tatsächlich nicht allzuviel, bedenkt man, wieviele Meter in Netze etc hineinlaufen können. Ein Schlüssel könnte ggf in der Qualität sowohl des Bastes als auch des Zwirns liegen. Wenn ich mir die Mondsee-Funde so ansehe, erscheinen die mir von brutal einfach bis höchst diffizil zu sein. Würdest du mehr hinbekommen, wenn du die Qualitätsansprüche reduzierst?

H.
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Beitragvon ulfr » 06.07.2008 15:21

Hans, vielleicht war er in einem früheren Leben Aufseher in einem steinzeitlichen Arbeitshaus. Oder er hat gar selbst schon mal gezwirnt....???

An den mir bekannten Fragmenten von Bastnetzen sind durchweg höchstfeine Zwirne zu beobachten. Wäre es nicht so, bekäme man beim Knüpfen der Maschen auch ziemliche Probleme. An der Qualität lässt sich nicht groß herumschrauben, aus schlechtem Bast kann man keine Zwirne machen, die sich verarbeiten lassen, und wenn man luschig zwirnt, wird die Haltbarkeit des Netzes bestimmt herabgesetzt, was in Anbetracht der Arbeit, die in einem ganzen Netz steckt, eine Katastrophe wäre. Lieber einmal sauber gearbeitet als ständig nachgebessert und geflickt (gut, das ist jetzt meine eigene ganz subjektive Einstellung).

Dieser Umstand, wieviel Arbeit in einem Netz steckt, gibt mir eben zu denken, neben der Tatsache, das oft Sachen aufwändig repariert wurden. Eventuell müssen wir uns doch von der Vorstellung verabschieden, dass Steinzeitmenschen 2-4 Stunden täglich gearbeitet haben, wie Rückschlüsse auf rezente Naturvölker nahezulegen schienen. Der Hausfleiß dürfte erheblich mehr Arbeitszeit in Anspruch genommen haben als zuweilen angenommen wird. So sieht man (oder sah ich, allerdings vor 30 Jahren) in Ägypten überall Menschen auf den Straßen, die sich unterhielten und ganz entspannt und nebenbei mit Handspindeln Wolle spannen.

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Beitragvon S. Crumbach » 06.07.2008 21:50

Ich schaffe von dem dünnen für ein Netz (ca. 1,0 bis 1,5 mm) auch ca. 1,0 bis 1,5 m in der Stunde, je nach dem wieviel ist anfusseln muß. (bei 2 Einzelfasern).

Ich würde gerne Anne Reichert befragen ... ich glaube niemand hier hat soviel gezirnbindet wie Anne.
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Beitragvon Claudia » 07.07.2008 09:19

Ich habe an dem Abend in Hamburg ca. 5 Stunden gezwirnt, wenn ich nicht irre, und dabei 12 Meter Schnur hergestellt. Das ist etwas mehr als 2 Meter pro Stunde.
Ich müßte mal ausprobieren, wie schnell ich bin, wenn ich ein sehr dünnes Garn herstellen soll.
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basten

Beitragvon alpenueberquerer » 13.07.2008 11:34

bast zwirnen ist ein prozess der dauert halt doch etwas länger. weil es ja ein komplexer vorgang ist, der aber dann wenn er begriffen wurde ähnlich automatisch wie stricken funktioniert.
aber das ist ja nichts neues, sagen will ich eigentlich, es kommt darauf an wie du die drehung des baststranges machst also wie viel du ihn in sich drehst, also ich drehe ihn quasi eine halbdrehung in sich selbst und lege dann über. geht bei mir wie stricken, also ohne hinschauen.
aber vieleicht solltest du da mit ann reichert mal reden. weil wenn dann die oder....
ok
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Beitragvon Manu » 22.08.2009 15:18

Hi ulfr,

bin hier grad reingeschlittert, nachdem ich heute Bast schon separiert habe. Ich liebe diesen Geruch.
Hast du zufällig ein Bild von deinem Netz gemacht?
Oder könntest du mir eine Quellenangabe für ein Fischernetz aus Bast angeben?
Gabs die auch am Bodensee? :oops:


Du schreibst:

Der für die Ausstellung zuständige Archäologe meinte nun, das wäre extrem viel, das müsste eigentlich viel schneller gehen...



Liegt in der Natur der Gegebenheiten. Ist mir mal so gegangen, als ich die Zeit für die Durchbohrung einer LÄNGLICHEN Kalksteinperle mit Feuersteinbohrer angegeben habe, da war noch nicht die mitgerechnet, die mir nach 2 Std. abgebrochen ist. :roll:

Manu
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Beitragvon ulfr » 22.08.2009 17:32

Gramsch, B. 1987: Ausgrabungen auf dem mesolithischen Moorfundplatz bei Friesack, Bezirk Potsdam, in: Gramsch, B. (Hrsg.) Veröffentlichungen des Museums für UfG Potsdam, Band 21, S. 75-100

Da ist das Netz von Friesack drin.

Dann noch das Netz von Singen/Hegau:

Siedlungsarchäologie im Alpenvorland V. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (Stuttgart 1998).

da kommst Du evtl. über Eure Hausbib dran.

Bild

Aus Lindenbast 1,5 mm, Maschenweite 40 mm, Filetknoten

Edith: das Bild ist schon vom mittlerweile fünften Netz, dieses ist 80x100 cm groß, auch nur ein Ausschnitt, aber da sind fast 60 m Zwirn drin. Mittlerweile bin ich allerdings doch etwas schneller geworden und brauche für 1 m feines, gleichmäßiges Garn eine knapp halbe Stunde, je nachdem, obs was Spannendes in der Glotze gibt oder nicht :D
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Beitragvon ulfr » 22.08.2009 18:02

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Beitragvon Manu » 22.08.2009 18:54

Vielen Dank für die Quellen, werde mal nachsehen, ob jungsteinzeitliche Funde auch dabei sind.

Eigentlich denke ich, daß Netze aus Lindenbast viel besser halten als Netze aus Flachs, wobei ich noch nie gefischt habe.

Im Moment nehme ich gerade eine ganze Menge Lindenbaststränge auseinander. Sie sind nicht mehr die jüngsten (meine Freundin hatte sie schon ne Weile) aber ich wundere mich über die Zähigkeit einiger Stränge.

Damit werde ich mich noch näher befassen, vielen Dank. :o
Manu
 

Beitragvon Bullenwächter » 24.08.2009 08:04

Ich würde auch mal sagen: Anne fragen. Ich denke sie kann mit ihrer Übung die realistischten Werte liefern.
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Beitragvon Trebron » 24.08.2009 11:03

Die Arbeitszeit ist natürlich von von der Qualität, Gleichmäßigkeit des Materials abhängig. Ich denke auch die Arbeitsweise ist da mit entscheident.
Ich habe gestern mal Schnüre nur eingedreht, also nicht verzwirnt und habe festgestellt, dass sie leichter einzudrehen sind, wenn ich sie mit Spucke anfeuchte. Mein Material war in einer Plastiktüte angeliefert und ich hatte den Eindruck, dass das Material noch eine gewisse Restfeuchte hatte, die aber schnell verflogen war, als das Knäul auf dem Tisch lag, bei der Hitze ! Die ersten Schnüre ohne Anfeuchten waren wesentlich schieriger zu verdrehen, als später, als ich sie angefeuchtet hatte.

Was sagt die Fachwelt ?

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Beitragvon ulfr » 24.08.2009 11:15

Ich arbeite eigentlich nur trocken, denn bei den Mengen an Bast, die ich manchmal verarbeite, würden mir sonst Schwimmhäute zwischen den Fingern wachsen, ich hasse "Waschfrauenhände". Aber Du hast recht, manches lässt sich leichter verarbeiten, wenn man es wieder einweicht.
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Beitragvon Mela » 25.08.2009 19:59

Wir arbeiten ja "feucht" - dennoch, ich bezweifle, dass ich wesentlich mehr hinbekomme als Du, Ulfr.
Ich denke aber, man darf sich die Zwirnerei einfach nicht als Einzeltat vorstellen - im mehrfachen Sinn: zum Einen hat sicher jeder, der zwirnen konnte mitgeholfen (und mein 5jähriger zwirt schon ganz annehmbar) und zum Anderen hat man das mit anderen Arbeiten kombiniert (zumindest, wenn ich mir ethnographische Quellen zum "Textilen" anschaue): beim Lauern, Hüten...

Liebe Grüsse

Mela
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