Lebten die Menschen einst im Matriarchat ?
Das ist eine sehr berechtigte Frage !
Ich sehe in den Darstellungen des Valerius Flaccus und anderer antiker Autoren häufig Merkmale des Matriarchats, etwa dort, wo die griechischen Frauen grollen und Eurynome sagt, dass sie die Herrschaft über
ihre Tempel zurückgewinnen wollen. Als die Männer kurz vor Ausbruch des trojanischen Krieges zudem damit beginnen, die Frauen fremder Einwanderer zu versklaven, lässt Hypsipyle diese Männer ohne Ausnahme hinrichten. Die Frauen bestanden auf ihrer Freiheit und ihre Testierfähigkeit und waren dem Erbe gleich nah. Bis zum Ende der Bronzezeit waren Frauen und Männer in Griechenland also gleichberechtigt und auf Kreta beherrschten sie nicht nur den Kultus, sondern auch die Rednerpulte.
In der Antike selbst hatte sich in weiten Teilen der bekannten Welt das Patriarchat durchgesetzt, doch in Nubien etwa traten seit ca. 1.000 v. Chr. mit Königin Katimala wiederholt weibliche Herrscher in Erscheinung. Das späterhin auf Napata folgende Königreich von Meroe wurde offensichtlich sogar mehrheitlich von Königinnen regiert und wenn dort ein Mann das Königreich regierte, tat er dies offenbar für seine Mutter. Dies nun wäre sicherlich als matrilineare Erbfolge zu bezeichnen. Ernest Wallis Budge veröffentlichte entsprechende Reliefbilder und Inschriften, welche in den Pyramiden von Meroe und ihrer Umgebung entdeckt wurden.
https://www.archive.org/details/egyptia ... ew=theaterJohann Jakob Bachofen sagte 1861 über die Erforschung des Matriarchats aus : "Die bisherige Altertumswissenschaft nennt das Mutterrecht nicht ... [und] hat für die Erklärung jener Kulturperiode, der das Mutterrecht angehört, noch nichts geleistet." Dieser erbärmliche Sachstand sollte sich im wesentlichen noch etwa 100 Jahre fortsetzen, bis es schließlich zur Genehmigung von Forschungsvorhaben kam, welche der Frau als solcher in der geschichtlichen Entwicklung eine eigenständige gesellschaftliche Rolle zubilligten.
https://www.koeblergerhard.de/Fontes/Ba ... ht1861.pdfDie Frau als solche kam seit der Renaissance in der Geschichtsschreibung und den benachbarten Wissenschaften de facto nicht mehr vor und dort, wo Frauen in die Wissenschaften gelangten und eigene Beiträge verfassten, mussten Sie diese häufig unter einem männlichen Pseudonym oder unter dem Namen eines Kollegen veröffentlichen, weil wissenschaftliche Beiträge aus der Hand von Frauen bis in die jüngste Vergangenheit der 60'er Jahre hinein von männlichen Fachkollegen oftmals nicht akzeptiert und eine entsprechende Veröffentlichung teils rigoros verhindert wurde.
Aus den genannten Gründen plädiere ich dafür, die Erforschung des Matriarchats nicht gleich wieder zu beenden, da sie vor kurzem erst begonnen hat. Meiner Meinung nach wird die Neuzeit nicht nur durch ihre technischen Erfindungen definiert werden, sondern auch durch die Unfreiheit der Frau. Diese ist bei Virginia Woolf eindringlich beschrieben : Wenn eine gut aussehende Frau ohne eine männliche Begleitung auch nur allein über die Straße zu gehen wagte, hatte sie Mühe dabei nicht vergewaltigt zu werden. Dieses in der Neuzeit übliche Maß an Gewaltsamkeit gegenüber Frauen dürfte es nicht einmal in den primitivsten Gesellschaften der Steinzeit gegeben haben und obwohl Frauen auf der Erde unseres Planeten inzwischen weitgehend entrechtet wurden und nur noch über ca. 1 % des Geld- und Sachvermögens verfügen, fürchten sich viele Männer vor entsprechenden Nachweisen, welche eine gesellschaftliche Egalität von Männern und Frauen bezeugen würden, denn sie haben viel zu verlieren. Der Wiederherstellung des Gewohnheitsrechts, der Geschäftsfähigkeit, Testierfähigkeit und Amtsfähigkeit von Frauen stehen gewaltbereite, militärische und wirtschaftliche Männerbünde entgegen, deren Anfänge nicht selten in frühgeschichtlicher Zeit zu finden sind. Ihr Ziel ist die Durchsetzung des privaten Eigentums auf Kosten des gemeinschaftlichen Besitzes, sowie die Beseitigung der freien Güter.
Wir stehen hinsichtlich der Klärung dieser Frage vermutlich noch ganz am Anfang, weshalb man den Beitrag im Magazin Spektrum nicht überbewerten sollte
Pitassa