Löwenmensch 2.0

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Löwenmensch 2.0

Beitragvon ulfr » 03.05.2009 17:52

Einige haben es auf dem Blaubeurener Treffen ja schon mitbekommen: Ich habe dieses Jahr einen einmaligen und äußerst spannenden Auftrag erhalten, an dem ich jetzt schon seit ein paar Tagen zugange bin. Für das Ulmer Museum werde ich bis zum Sommer eine Replik der berühmten Löwenmensch-Statuette aus der Hohlestein-Stadel-Höhle herstellen, aus rezentem Elfenbein und unter Verwendung von authentischen Werkzeugen. Die Statuette wurde vor ca. 32.000 Jahren aus einem Mammutstosszahn geschnitzt, sie ist fast 30 cm hoch. Entdeckt wurde sie am 25. Aug. 1939 vom damals im Lonetal tätigen Ausgräber Otto Völzing, der jedoch wegen der gebotenen Eile - der WK II stand vor der Tür, die Grabung wurde Hals über Kopf beendet - nicht wissen konnte, dass er einen Sensationsfund gemacht hatte. Erst Anfang der 1970er Jahren erkannte der Tübinger Archäologe Joachim (Kim) Hahn an den zahlreichen Splittern Bearbeitungsspuren und konnte die Figur partiell wieder zusammensetzen.

Zu meinen Arbeiten:
Nach einigen Schwierigkeiten bei der Rohmaterialbeschaffung - Mammutelfenbein in der geforderten Größe und Qualität ist nicht beschaffbar oder nicht bezahlbar - gelang es schließlich, mit der Unterstützung der Erlanger Universität und des dort ansässigen Elfenbeinschnitzers R. Bücking, den passenden Stosszahn eines rezenten Elefanten zu besorgen.
Vom Ulmer Museum bekam ich eine stereolithographische Kopie des Originals (oben) zur Verfügung und konnte die benötigten Maße auf den Zahn übertragen, so dass die Verhältnisse passen. Den Schritt der Figur bildet nämlich die Pulpa, die Markhöhle innen im Stosszahn.

Bild

Der erste richtige Arbeitsgang war das Ablängen des Zahns. Ob diese Arbeit im Paläolithikum so durchgeführt wurde, ist unklar, es könnte sich auch um ein aufgesammeltes Stück handeln, das schon ungefähr die Länge der Figur aufwies. Das Ablängen war jedoch damals ein üblicher Arbeitsvorgang, sowohl bei Elfenbein als auch bei Geweih oder Knochen, so dass es die Grundlage des Experimentes bilden sollte. Mit einer Flintklinge wurde rundumlaufend eine Kerbe quer zur Längsachse angelegt und im Folgenden immer weiter vertieft, sowohl mit Sticheln als auch mit Kratzern, bis ich schließlich bis zur Pulpa durchgedrungen war.

Bild

Bild

Wandstärke ca. 30 mm
Arbeitszeit (nicht relevant,nur als Orientierung, wie lange so was etwa dauert): ca. 25 h

Als nächstes wollte ich mehrere Methoden testen, mit denen ich viel Material auf einmal entfernen wollte. Als erstes schnitt ich wieder Querkerben ein, Tiefe etwa 5 mm, Abstand ca. 10 mm, und versuchte anschließend, mit einem großen Abschlag in eine Kerbe einzufahren und die Stege zwischen den Kerben wegzuschlagen. Dieses Verfahren taugt nicht sehr viel, da Elfenbein sich kaum spalten lässt. Zudem ist es so hart, dass sich selbst robuste Flintwerkzeuge innerhalb kurzer Zeit in einen Haufen kleiner Splitter auflösen.

Bild

Wesentlich entspannter, Kräfte und Werkzeug schonender ist es, Material abzuspanen, mit einem Schaber oder Kratzer. Das geht in etwa genauso schnell wie das (versuchte) Abschlagen.

Um den großen Klotz unter dem "Hintern" der Figur nicht vollends abschaben zu müssen (schließlich kann man das schöne Stück obendrein auch noch für etwas anderes brauchen :wink: ) entschloss ich mich, ihn mittels zweier schräg angesetzter Kerben abzutrennen. Daran arbeite ich zurzeit, auf der einen Seite habe ich das Elfenbein bereits bis zur Pulpa durchtrennt, auf der anderen Seite bin ich schon ca 10 mm tief. Wenn die zweite Kerbe tief genug ist, werde ich versuchen, den ganzen Klotz mittels Keilen abzuspalten, die potentielle Bruchfläche wäre dann nur noch wenige Quadratzentimeter groß, das sollte funktionieren.

Bild

Danach kann ich eigentlich nur noch schabend/kratzend weitermachen, und das wird wohl sicher noch eine ganze Zeit dauern. Man schafft bei normalem Arbeitstempo ca. 6 Kubikzentimeter Material in einer Stunde weg. Längeres Einweichen in Wasser bringt nicht die gewünschte Erleichterung der Arbeit, das Wasser dringt nur in die äußersten Zehntelmillimeter ein. Erhitzen zerstört das Material.

Ich halte Euch auf dem Laufenden.

Mehr Infos und Bilder (und auch demnächst Filme von der Arbeit) unter
www.loewenmensch.de

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Beitragvon Joze » 03.05.2009 18:39

Grossartig! Sensationell! :)
Gruss,Joze
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Beitragvon Steve Lenz » 03.05.2009 18:48

Archaeotechnik at its best! Bin so gespannt auf die Fortsetzung! :D
Aus den Augen - aus dem Sinn.
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Beitragvon Mark77 » 03.05.2009 22:54

Wow, ULFR, ein echt großes Projekt mit authentischem Werkzeug. :shock:
Meine Arbeit an der Perle fand ich schon heftig, deine Arbeiten am Vogelherdpferdchen fand ich einfach bemerkenswert!!!

:arrow: Viel Erfolg und Geduld wünsch ich dir dabei!!

Grüßle, Mark77
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Beitragvon Blattspitze » 04.05.2009 07:53

Wunderbar Ulfr, und ein hochinteressantes Projekt, dass ich aufmerksam verfolgen möchte.
Hand und Fingerschmerzen kann ich Dir nachfühlen! ("Elfenbeinarm")
Viel Erfolg und Durchhaltevermögen.
Wieviel Flint-klingen werden verbraucht werden?

Einweichen in Wasser nützt also nix, aber was weiss man über schärfere Sachen (Recycling gewisser Körperflüssigkeiten) ? Für die weitere Arbeit aus unserer Sicht sicher zusätzlich geruchsbelästigend.
Angesichts gewisser östlicher Grabfunde muss man ja sogar davon ausgehen, dass Elfenbeinstangen später gerade gebogen und als Lanzen/Speere genutzt werden konnten oder?
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Beitragvon ulfr » 04.05.2009 09:00

Danke für die Ermunterungen, ich kann sie brauchen :|

Bis jetzt bin ich erstaunt, wie lange die Werkzeuge durchhalten, hatte mir den Verschleiß viel schlimmer vorgestellt. Was nicht geht ist sägen. Ich hatte mir eine dünne, lange Klinge als regelrechte Säge zurechtretuschiert und mich voller Freude an die erste Kerbe gemacht - haha said the clown, die Zacken waren innerhalb von Sekunden verrundet und hatten keinen Biss mehr. Auch ein zweiter Sägeversuch, diesmal mit alternierend von Ventral und Dorsal retuschierten "Sägezähnen" verlief unbefriedigend. Am besten geht Schaben/Kratzen mit dem Stichel bzw. einer Endretusche, wobei ich Schaben als "von-mir-weg-arbeiten" bzw. stossendes Arbeiten und Kratzen als "zu-mir-her-arbeiten" bzw. ziehendes Arbeiten bezeichne. Solange genug Wasser auf dem Elfenbein ist, welches das Arbeiten sehr erleichtert, und man das Werkzeug nicht verkantet, was zu Aussplitterungen führt, sollten die bisher verwendeten Geräte bis zum Schluss durchhalten. Ich rechne mit etwa 10-15 Klingen/Endretuschen, 5-10 Sticheln und genausovielen Schabern/Kratzern.
Wie immer ist der Arbeitsrhythmus wichtig, viel Ausdauer mit weniger Kraft ist besser als kurzfristige Höchstleistungen.

Es ist nicht so, dass Einweichen in Wasser gar nix bringt, das Wasser löst schon in der obersten Schicht das Kollagen an und führt dazu, dass sich das Material leichter abarbeiten lässt (Du kennst das vom Bearbeiten von Knochen, mit Spucke gehts besser). Nur längeres Einweichen in Wasser bringt dann nicht mehr, zumindest bei Elefantenelfenbein nicht. Hab zum Vergleich den anfangs entfernten "Sockel" seit nunmehr 7 Tagen einseitig in Wasser gelegt, ohne nennenswerte Veränderungen. Fossiles Mammutelfenbein soll sich nach längerem Einweichen viel besser bearbeiten lassen.

Alfred Pawlik hat Versuche zur Elfenbeinbearbeitung durchgeführt und festgestellt, dass sich rezentes E-bein weder durch Wasser noch durch Urin aufweichen lässt. Lediglich Ameisensäure verwandelt E-bein in ein gummiartiges elastisches Material, das sich aber nicht mehr schnitzen lässt
Pawlik, A. 1992: Mikrogebrauchsspurenanalyse. Urgeschichtliche Materialhefte 9

Erhitzen zerstört wie gesagt das innere Gefüge, das E-bein zerbröselt.

Fossiles Mammutelfenbein zeigt ein hiervon anweichendes Verhalten, es lässt sich offenbar durch längeres Einweichen erweichen, ähnlich wie Rengeweih. Möglich, dass im Paläolithikum solches Material verwendet wurde. Auf der anderen Seite treibt uns bei solchen Überlegungen möglicherweise wieder nur das übliche "tiefer-härter-breiter-schneller". Ein Kollege sagte zu mir, dass es möglicherweise gar nicht darum ging, am Ende eine schicke Statuette für den häuslichen Naturgeisteraltar zu haben "zu Weihnachten ist er fertig!", sondern dass u.U. wie im Zen-Buddhismus der Weg das Ziel war, dass also die Anfertigung der Figur die Leistung darstellte, gewissermaßen eine Demutsübung. Und dass es dem/der ürsprünglichen ErzeugerIn nicht darauf ankam, möglichst schnell zu sein, sondern möglichst viel Liebe in die Arbeit hineinzulegen. Von daher sind unsere Überlegungen, ob es da und damit nicht schneller ginge, eventuell einfach obsolet...

Wenn ich an die Speere von Sungir denke, ist es mir allerdings völlig rätselhaft, wie die das bewerkstelligt haben, einen 2 m langen Span aus einem spiralig gewundenen Stosszahn auszulösen und den dann auch noch gerade zu biegen. Ist mal untersucht worden, ob es sich nicht vielleicht um Narwalzähne handelt?

Und jetzt wieder ans Werk
ULFR
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Beitragvon ulfr » 04.05.2009 14:38

Kleiner Nachtrag: die bisher verwendeten Werkzeuge.

links oben 4 Klingen, 2. v. l. war die Säge, heute vormittag ist das schmale Vorderende abgebrochen. Flint .....
Rechts oben 1 Schaber (links) und ein Kratzer (rechts, leider neulich runtergefallen und seitdem 2-teilig. Flint .....)
Rechts Mitte einer der "Stechbeitel", ein keilförmiger großer Abschlag.
Rechts unten der zweite Beitel, der beim Abschlagversuch zerbrach.
Links unten 3 Stichel und in der Mitte eine Endretusche und ein Nasenkratzer. Diese beiden Werkzeuge habe ich zurzeit am meisten in Gebrauch.

Bild

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Beitragvon Claudia » 04.05.2009 14:45

Viel Geduld und "gut Kratz"!
Bin schon gespannt aufs Ergebnis :)

Es hat mich allerdings schon erstaunt, daß Elfenbein im Wasser kaum aufweicht. Wo es mit Knochen oder Geweih so prima geht...
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Beitragvon Thomas Trauner » 04.05.2009 15:37

Löwenstark, ulfr !
Dokumentier so viel wie möglich, aber wem sag ich?s....


Dass der Zahn anders auf Einweichen reagiert wie Knochen oder Horn wundert mich jetzt nicht. Normalerweise sind Zähne ja in einem feuchtem Mileu, wenn einem nicht mal aus irgendeinem Grund die Spucke wegbleibt....

Thomas
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Beitragvon TZH » 04.05.2009 16:04

Toll!!!! :)
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Beitragvon Kurt A. » 04.05.2009 18:40

Das ist ne super Sache Ulfr! Da freue ich mich schon auf Deinen nächsten Bericht!

Ich hab mir mal von einem gelernten Elfenbeinschnitzer sagen lassen, dass man beim Schnitzen auch peinlich auf die Wachstumsringe achten müsse (wie beim Holz). Mich würden da Deine Erfahrungen diesbezüglich interessieren?
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Beitragvon ulfr » 04.05.2009 18:53

Da hat er recht! Gegen den Strich geht gar nix. Aber wo ist das nicht so ....? :D
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Beitragvon TZH » 04.05.2009 19:40

Währe es nicht schneller/besser mit verschiedene (ich meine weschiedene querschnitten, owal, schmal, dreiekig) Schleifsteinen aus Sandstein?

Zoltán
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Beitragvon Trebron » 04.05.2009 20:07

Meinen herzlichsten Glückwunsch zu diesem Auftrag und viel Erfolg bei der Arbeit !!!

Fast sprachlos

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Wer nur zurück schaut, sieht nicht was auf ihn zu kommt
Uff pälzisch: wä blos zurigg guggt, sieht net was uff`ne zukummd
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Beitragvon ulfr » 05.05.2009 08:24

TZH hat geschrieben:Währe es nicht schneller/besser mit verschiedene (ich meine weschiedene querschnitten, owal, schmal, dreiekig) Schleifsteinen aus Sandstein?

Zoltán


Dagegen sprechen zwei Faktoren, Zoltán: Zum einen gibt es in der Gegend, wo die Hohlestein-Höhle liegt, keinen Sandstein, sondern nur Kalk. Natürlich wäre es für die steinzeitlichen Menschen möglich gewesen, Steine von der Donau zu holen, die nur etwa 15 km weit weg fließt. Aber auch dort ist Sandstein sehr selten, weil die Donau auf dem Weg dahin nur durch Kalksteingebiet geht.

Außerdem habe ich Sandstein schon ausprobiert, der setzt sich ziemlich schnell mit Abrieb zu und schleift dann nicht mehr, vor allem, wenn man Wasser zum Schleifen verwendet. Elfenbeinmehl quillt bei Kontakt mit Wasser sehr stark auf und wird richtig schmierig. Da funktionieren Kratzer und Schaber weitaus besser.
Trotzdem Danke für den Tipp.
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